(Sa. 28.4.) Der Reiseführer hatte mich bezüglich Isla del Sol auf dem Titicacasee vor Touristenströmen gewarnt und empfohlen – sofern man diesen ausweichen möchte – entgegen der üblichen Marschrichtung im Süden der Insel an Land zu gehen und nach Norden zu wandern. Außerdem solle man dort übernachten, weil es sich beruhigt, sobald das letzte Touristenboot Richtung Festland abgelegt hat. Diese Ratschläge beherzigend bin ich morgens kurz nach 8 Uhr zum Bootsanleger. Von den ca. 30 Touristenbooten, die in der Bucht von Copacapana vor Anker liegen und eine Kapazität von je 50 Personen haben, füllten sich nur drei, so dass sich die Menschenmassen zum Glück sehr in Grenzen hielten, die Viertel vor neun abfuhren.
Wettertechnisch hielt die Isla del Sol was ihr Name verspricht: Die Sonne schien vom überwiegend blauen Himmel. Trotzdem war es insbesondere im Fahrtwind auf dem Dach des Bootes ziemlich kalt und ich auf ein Neues froh über mein Daunen-jäckchen. Etwas später zog ich mir sogar noch die Gore-Tex-Hose als Windschutz über die Jeans. Die Wassertemperatur beträgt angeblich zwischen 8 und 12° C – auf einen Eigentest habe ich lieber verzichtet. Ruft man sich ins Bewußtsein, dass der Titicacasee, der übrigens 15x so groß ist wie der Bodensee, auf knapp 4000m Höhe liegt, erscheinen diese Temperaturen wenig überraschend.
Um 10:15 Uhr stieg ich am Südende der 5km breiten und 12km langen Insel aus. Bei einem gemütlichen Tässchen Café las ich nochmals, was es hier eigentlich zu erwandern und zu sehen gibt. Während dieser Pause haben sich die paar Touristen, die mit mir ausgestiegen waren, verteilt, so dass überhaupt kein Andrang mehr ist bzw. ich die Inka Treppe sogar für mich alleine habe. Außerdem mache ich zunächst einen Abstecher nach Süden zum Palacio Pilkokaina. Viele Touris schauen sich hingegen nur die Inka-Treppe und den liegenden Inka-Brunnen an, maximal vielleicht noch das oberhalb gelegene Örtchen, müssen dann aber schon wieder auf das Boot, um dem straffen Zeitplan eines Tagesausfluges Folge zu leisten.
Die Wanderung zum Palacio ist sehr schön. Ich gehe es ruhig an und genieße die fantastische Landschaft! Der etwas karge Bewuchs auf den steinigen Terrassen über dem in den Buchten türkisfarbenen Wasser vermittelt ein mediterranes Flair. Unwirklich dagegen wirken die im Hintergrund scheinbar aus dem Wasser aufragenden, leuchtend weißen Schneegipfel der Cordillera Real, die einen daran erinnern, dass man sich auf dem Altiplano. Auf halben Weg komme ich an einem Feld vorbei auf dem hunderte von Lehmziegel zum Trocknen aufgestellt waren. Das hatte ich schon öfter gesehen, aber diesmal waren zwei Männer dort am Arbeiten: sie stellten die Ziegel auf und schabten sie mit einer Maurerkelle schön glatt und rechteckig. Nachdem wir uns wirklich lange unterhalten hatten, ging ich weiter zum Palacio Pilkokaina, der wirklich interessant konstruiert ist: Mehrere Zimmer reihen sich schneckenhausförmig aneinander und auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes noch einmal spiegelbildlich.
Genug der Kultur, schließlich muss ich noch über die gesamte Insel wandern. Autos und Straßen sind übrigens Fehlanzeige. Die Insel erschließt sich dem Besucher über schmale Pfade auf denen die Inselbewohner entlang wandern und gegebenenfalls ein paar Esel vor sich her treiben. Es gibt hier wirklich nichts außer Ursprünglichkeit und Ruhe. Und genau das wurde touristisch erschlossen und stellt für wenige einen Zusatz-verdienst dar zur sonst üblichen terrassierten Landwirtschaft. Ich erkenne Mais, einige Getreide, Kartoffeln, Bohnen, aber hauptsächlich Koka. Da der Anbau dieser Pflanze deutlich mehr einbringt als alle anderen Agrarprodukte, ist es mehr als verständlich, dass der augenfällig größte Teil der Anbaufläche mit Koka bepflanzt ist. Ansonsten sieht man auf der Insel ein paar Esel, Lamas und Schafe, sowie hier und da ein Schwein. Mehr gibt es wirklich nicht. Die Insel ist ein Ort der absoluten Ruhe. Ein sonniges Fleckchen Erde zum Genießen, Wohlfühlen, Urlaub machen! Insbesondere nach dem kalten, ungemütlichen La Paz ist das hier Balsam für die Seele!
Die Wanderung vom Dorf Yumani nach Norden hatte ich erst kurz nach 12 Uhr begonnen und war demnach schon etwas hungrig. Aber ich dachte mir „ich wandere noch bis zum Dorf Challa in der Mitte der Insel“, was ich etwa eine Stunde später erreichen sollte, um dort irgendeinen Sandwich oder eine andere Kleinigkeit zu mir zu nehmen. Aber ich hatte die touristische Infrastruktur der Insel überschätzt, wohl auch aufgrund des Hinweises im Reiseführer auf die Touristen-ströme. In diesem Örtchen gab es nämlich gar nichts und selbst die zwei Kioske, die ich unterwegs passiert hatte, haben derzeit leider zu; es ist eben nicht Hauptsaison. Beim Abstieg in die nächste Bucht ließ ich mich an einem schönen Platz mit Blick über die Bucht nieder, denn ich war zum Glück nicht ganz unvorbereitet gestartet: ich hatte etwas Schokolade, ein paar Cracker und Riegel aus Nüssen und Honig dabei. Nach einem halben Stündchen in dem ich nicht nur den Ausblick genossen und gefuttert habe, sondern auch Reiseführer gelesen, setze ich meine Wanderung fort. Ich laufe durch eine schöne Bucht mit Sandstrand und direkt dahinter eine internationale Jugendherberge, die ich mir für einen möglichen zukünftigen Besuch Boliviens merken werde. Denn wer sich akklimatisieren will bevor er in der Cordillera Real auf hohe Berge steigt, der kann an diesem Strand wirklich sehr einsam und ruhig abhängen.
Nach einer weiteren Stunde Fußweg erreiche ich 15:15 Uhr Challapampa, den Ort im Norden der Insel. Nun gilt es eine Unterkunft zu finden: bei einer schönen, kleinen, Familienpension mit hübsch gepfelgten Garten, an der ich gleich zu Beginn des sehr überschaubaren Örtchens vorbei komme, macht mir leider niemand auf; genauso beim nächsten Hostel. Das andere hat kalte Zimmer und soll 50 Bolivianos kosten, was für hiesige Verhältnisse relativ teuer ist. Auf der anderen Seite der dünnen Landzunge finde ich dann ein echt schnuckliges Hostel: außen ist alles neu gemacht, mein Zimmerchen hat Seeblick und kostet 20 Bolivianos, das sind 2 (!!) Euro. Ich habe in letzter Zeit schon in so mancher einfacher und einfachster Unterkunft übernachtet, diese hier fällt in dieselbe Kategorie, ist aber richtig nett. Ich habe auch schon in so manch kaltem Gemäuer geschlafen und mich gefragt, wovor eigentlich so ein Haus schützen soll, wenn es darin dann doch kalt und ungemütlich ist. Hier ist es angenehm warm. Die Ausstattung ist zwar super simpel, aber eben nett: Es ist nur ein großes, ungewöhnlich gemütliches Bett drin, ein Stuhl und Teppichboden, damit man nicht auf dem Kalten steht, ein Vorhängchen vor dem Einfachglasfenster, die Türe kann man zuschließen, Licht – todo bien!
EXKURS – PREISE: In La Paz habe ich für ein Bett im 5er-Zimmer noch 50 Bolivianos, also 5 Euro bezahlt. Gestern bin ich für 18 Bol. (1,80 Euro) mit dem Taxi zur Busabfahrtsstelle gefahren – also 20 Min. Individualverkehr durch die Stadt. Dann habe ich mir für 15 Bol. ein Busticket nach Copacabana gekauft – also 1,50 Euro für eine 4 stündige Busfahrt. Am Kanal wurde ich für umgerechnet 15 Eurocent übergesetzt. Für das Einzelzimmer im Hotel, was zugegebenermaßen nicht so doll war, weil ohne Außenfenster und etwas muffig, habe ich 50 Bol. (5 Euro) bezahlt, was für hiesige Verhältnisse schon wieder relativ teuer ist. Dafür hat die Überfahrt auf die Isla del Sol nur 20 Bol. (2 Euro) gekostet, ebenso die super nette Unterkunft (20 Bol.) im schnuckeligem Einzelzimmer direkt am Strand. Und auch das Abendessen bestehend aus einer leckeren Quinoa-Suppe mit Brot und als Hauptspeise eine frische Forelle mit Reis, Pommes, Gurken und Tomaten gab es für sage und schreibe 2 Euro. Der Spruch ist zwar schon abgedroschen, aber „In Bolivien kann man sich reich-reisen!“
Nach dem Abendessen hatte ich es mir auf meinem Bett gemütlich gemacht und durchs Fenster den herrlichen Sonnenuntergang beobachtet bis mich die Musik einer Panflöten-Combo nochmal rausgezogen hat. Auf dem benachbarten Fußballplatz standen etwa 20 Jungs und einige Halbstarke im Kreis, in ihrer Mitte ein Schlagzeuger und ein Paukenspieler. Alle haben getanzt und gedudelt – eine sehr rhythmische Sache. Während die Jungs z.T. nur Pullis anhatten, wurde es mir mit Daunenjäckchen nach einiger Zeit zu kühl, so dass ich wieder in mein Zimmer gehe und bald drauf auch die Äuglein zu mache.
(So. 29.4.) Die Idee mir den Sonnenaufgang vor dieser fantastischen Kulisse anzuschauen, hatte ich noch abends verworfen und mich am Ausschlafen erfreut. Zum Frühstücken bin ich in das Restaurant, das so eine schöne Sonnenterrasse hat – Urlaub! Um 10:30 Uhr bin ich dann los um die archäologisch bedeutsamsten Sehenswürdigkeiten der Insel im Norden zu erkunden. Der Chicana-Komplex umfasst Reste des Sonnentempels, des heiligen Felsens und des Inka-Palastest. Der inkaischen Mythologie zufolge stieg eins der Schöpfergott aus den Fluten und schuf hier Sonne und Mond. Ebenso ist dieser Ort die Wiege des Inkareiches: Die Gründer der Inkadynastie Manco Capac und Mama Ocllo wanderten von hier nach Cusco und gründeten dort das inkaische Weltreich.
Um 13:30 Uhr legt das Boot für die Rückfahrt ab und 15:45 bin ich wieder in Copacabana, wo ich direkt zur Wäscherei gehe, um meine Sachen abzuholen. Dass mein grünes Funktionslangarmshirt fehlt merke ich erst später, als ich den Rucksack neu packe. Die ersten Adressen, die ich abklappere sind mir mit 40 USD bzw. 200 Bol. zu teuer. Im Hostel Sonia, was mir von zwei anderen Backpackern empfohlen worden war, ist zwar kein Einzelzimmer mehr frei, aber auch das Doppelzimmer ist mit 40 Bolivianos (4 Euro) bezahlbar. Als ich meine Sachen auspacke, merke ich, dass ich mein Smartphone im Hostel auf der Insel vergessen habe. Das Mädel an der Rezeption ist zwar sehr bemüht, bringt aber nix. Ich werde morgen wohl nochmal hinfahren müssen.
Ich schlendere ein wenig durch den Ort, schaue mir die monströse Basilika an, die in über 200 jähriger Bauzeit errichtet wurde. Schließlich erkundige ich mich nach Busverbindungen nach Cusco. Und obwohl ich nicht weiß, wie das morgen mit dem Handy holen ausgeht, kaufe ich vorsorglich ein Cama-Ticket, nicht dass es mir so geht, wie in Mendoza, wo mir der letzte Cama-Platz vor der Nase weggeschnappt worden war. Auch der durchgehende Bus nach Cusco, der gerade mal 18 Euro kostet, hat nur 12 Cama Plätze, gegenüber über 30 Semi-Cama-Plätzen. In einem sehr netten Restaurant, das innen mit Schilf dekoriert ist, esse ich nochmal frische Forelle, die sogar noch leckerer ist, als die gestern Abend. Als ich ins Bett gehe, fällt mir auf, dass ich ohne Handy ja auch keinen Wecker habe, der mich morgen früh rechtzeitig fürs Boot weckt. Mist! „Also ganz schnell schlafen!“ denke ich mir, damit ich möglichst von alleine wach werde. Aber genau das gelingt mir nicht, weil ich mir natürlich einen Kopf mache und außerdem ist mir kalt. Selbst als ich den Schlafsack rausziehe dauert es ewig, bis ich einigermaßen durchwärme. Um halb vier schau ich das letzte Mal auf die Uhr - das kann ja was werden.
(Mo. 30.4.) Ich werde wider Erwarten pünktlich um 7 Uhr wach, frühstücke im Hostel und fahre 8:30 Uhr erneut auf die Insel. Dort bekomme ich zwar das Handy, aber da mehr als 3x die falsche PIN eingegeben wurde werde ich nach der PUK gefragt, die ich natürlich nicht habe. Das stelle ich natürlich erst fest, als ich es im Café ausprobiere und ärgere mich dafür Belohnung gezahlt zu haben. Belohnung für jemanden, der versucht hat mein Handy zu knacken und der es mir wahrscheinlich überhaupt nur wegen Misserfolg zurückgegeben hat. Egal, Hauptsache ich hab das Gerät wieder, das mit bolivianischer SIM-Card, die ich mir einige Tage später in Cusco zulegte, auch wieder als Wecker und zur Sprachaufzeichnung nutzbar war.
Die Zeit bis zur und während der Rückfahrt widme ich meinem Reisetagebuch. Der Abstecher zu den Islas Flotante (schwimmende Inseln), deren Unterbau aus Plastikkanistern statt – wie historisch üblich – aus Schilf bestand, war der totale Touri-Nepp, so dass ich im Boot sitzen blieb. Wieder in Copacabana gehe ich zuerst in der Wäscherei vorbei und reklamiere, dass ein Teil fehlt - natürlich ohne Erfolg, obwohl ich heftig diskutiere; ja das klappt schon ganz gut auf Spanisch. Statt ins Hostel zu gehen und die beiden vorbereiteten im Blog hochzuladen, mach ich bis zur Busabfahrt lieber ausgiebiges Souvenir-Shopping!
18 Uhr bin ich also schwer bepackt am Bus, der 18:30 Uhr fährt. Die Cama-Plätze, wovon ich gestern einen gekauft und bezahlt hatte, sind entgegen der gestrigen Beteuerungen leider doch voll und man hat mein Ticket mir nichts dir nichts einfach in ein Semi-Cama-Ticket getauscht. Dabei war es genau das, was ich gestern mehrfach gefragt und mir hatte bestätigen lassen, dass auch tatsächlich Cama-Plätze verfügbar sind. Aufregen? Nein, bringt ja doch nichts! Ich werde deswegen nicht noch einen weiteren Tag hier bleiben, also fahre ich eben Semi-Cama.
Copacabana und der Titicacasee verabschieden sich von mir mit einem farbenkräftigen Sonnenuntergang. Bereits nach 10 Min. erreichen wir die bolivianisch-peruanische Grenze. Abgesehen davon, dass wir den eigentlichen Grenzwechsel zu Fuß absolvieren müssen, geht alles reibungslos. Ich bin hundemüde, aber da wir bald Puno erreichen, wo 1 Std. Aufenthalt ansteht, macht es wenig Sinn, dass ich mich zum Poofen ablege. Außerdem nervt der blöde Film. Bis 21:30 Uhr peruanischer Zeit, also bereits halb elf bolivianischer Zeit, dauert diese Zwangspause – ich will nur noch in den Bus und schlafen, aber der ist zu. Die Geldautomaten am Busterminal sind alle außer Betrieb. Zum Glück sind die Wechselstuben noch offen und so tausche ich die im Eifer des Souvenirkaufens zu viel gezogenen Bolivianos in einen ersten Handbestand an Soles und kaufe mir einen Sandwich. Das Schlafen bei der Weiterfahrt gelingt mir trotz Semi-Cama super – der letzten halb wachgelegenen Nacht sei Dank.