(Mi. 25.4.) Heute ging es mit einer halben Stunde Verspätung um 8:30 Uhr los, weil es etwas Chaos gab. Zwei Israelis hatten ebenfalls das Condoriri-Gebiet zum Ziel und den Transport über Altitud 6000 gebucht. Weil es aber dasselbe Auto sein sollte wie gestern, waren wir eigentlich einer zu viel. Letztlich quetschte sich Nelson zusammen mit dem Koch zu zweit auf den Beifahrersitz. Die 2,5 stündige Fahrt war aber auch auf der Rückbank unbequem, weil nicht nur das Wetter ziemlich schlecht war, sondern auch die Piste. Es muss auch in den Tagen zuvor stark geregnet haben, denn die Piste war sehr schlammig und eigentlich eher für einen Allrad geeignet als für einen mit 6 Personen plus üppigem Gepäck überladenen, normalen PKW.
Auf einer Höhe von 4500m endet die Piste. Das Bezahlen des Taxis war typisch bolivianisch: mit mir waren 180 Bolivianos (ca. 18 Euro) verabredet, mit den Israelis 200, der Fahrer verlangte aber aufgrund anderer Routenwahl und der schlechten Straßenverhältnissen plötzlich 250 pro Person. Für mich war es ok, weil ich erstens diese Gepflogenheit schon kennengelernt habe und zweitens froh war mir die Fahrtkosten überhaupt teilen zu können. Die Israelis regten sich hingegen ziemlich auf. Bei der Gepäckverteilung schnappe ich mir schnell den Kocher und das Gas, sowie Nelsons Pickel, denn ich fühle mich fit und akklimatisiert genug mich am Transport der allgemeinen Ausrüstung zu beteiligen, ohne mich zu verausgaben. Obwohl wir wirklich sehr gemütlich gelaufen sind und ich noch Lama-Fotos geschossen habe, sind wir nach nur einer Stunde – statt eineinhalb – an der kleinen Hütte an der Laguna Chiar Khota.
Nachdem wir die Zelte aufgebaut und gerade angefangen hatten etwas zu vespern, fing es an zu graupeln. Wir flüchten uns alle drei in unser Zelt und futtern dort noch etwas weiter. Mit einem Mittagschlaf, einem Spaziergang auf die andere Seite der Lagune und einem frühen Abendessen vertreiben wir uns den restlichen Tag, bevor es früh Schlafen geht.
(Do. 26.4.) Wir sind um 1 Uhr aufgestanden und nach einem kleinen Müsli kurz vor 2 Uhr mit Ziel „Kleiner Alpamayo“ (5370m; ZS; 55°) los. Beim Aufstehen und als wir dem See entlang gingen, konnten wir einen klaren Sternenhimmel bewundern. Während des weiteren Aufstiegs hatte es am Talausgang allerdings ein paar Wolken, so dass ich schon einen Wetterwechsel befürchtete und froh war, dass wir früh dran waren. Wider Erwarten wurde später ein strahlend schöner Sonnentag draus. Um 3 Uhr waren wir am Gletscher und legten Steigeisen und Seil an. Der Regen vom Vortag war hier als Schnee runtergekommen, so dass Nelson eine neue – wie ich finde – sehr gute, nicht zu steile Spur anlegte.
In gleichmäßigem Tempo kamen wir stetig höher und waren bereits um 5:30 Uhr auf dem etwa 5300m hohen Vorgipfel Tarija, der auf dem Hin- und auf dem Rückweg also gleich zweimal überschritten werden muss. So früh war Nelson angeblich noch nie hier oben – kein Wunder, es ist auch noch dunkel. Der anschließende Zwischenabstieg von grob 50 Höhenmetern sieht beängstigend steil aus und hat es durchaus in sich, am nahen Felsen entdeckte ich zwei Bohrhaken. Wir lassen uns Zeit und gehen sehr konzentriert. Dank gutem Trittschnee geht es dann doch ganz gut. Abschließend kommt das, was den Kleinen Alpamayo ausmacht: ein sehr steiler Schneegrat – mit einer Steigung von abschnittsweise bis zu 55° – führt die letzten geschätzt 100-150 Höhenmeter zum Gipfel, den wir 6:50 Uhr erreichen.
Weil das Licht für die ausgiebige Fotos-Session immer noch etwas dürftig ist, genießen wir zunächst die Aussicht. Ein toller Gipfel, der mitten drin steht und spannende Blicke in zwei weitere Gletscherbecken eröffnet. Wir haben den Gipfel ganz für uns alleine, denn die einzige andere Seilschaft erreicht soeben erst den Vorgipfel. Nach 20 Minuten machen wir uns auf den Rückweg, wobei ich bei den steilen Passagen wieder schön brav in die Frontalzackentecknik wechsle. Dank guten Trittfirns geht es trotz des gruseligen Tiefblicks viel einfacher als gedacht, so dass wir sogar Kapazitäten zum Fotos knipsen hatten. Der Gegenanstieg ist trotz bester Akklimatisation anstrengend. Um 8 Uhr stehen wir zum zweiten Mal auf dem Tarija, wo wir nochmal ein kleines Päuschen machen.
9:30 Uhr sind wir am Küchenzelt der beiden Amis, die gestern auf dem Vorgipfel umgekehrt waren. Nachdem ich deren Aufstiegsspur gesehen hatte, wusste ich auch warum: ihr Guide hatte die Spur schnurgerade und steil den Gletscher hinauf gezogen, ohne jegliches Zickzack und das bei einer Akklimatisationstour. Die Jungs samt Guide sind unterwegs, aber wir werden von ihrer Köchin mit einem extrem leckeren zweiten Frühstück verköstigt: geschnittene Papaya, Cafe und in Fett rausgebackenen Mehlteilchen. Von Roberto´s Gekochtem wird man zwar auch satt, aber die Verköstigung hier ist um Klassen besser. Ich bin dann doch ein wenig matschig und will schlafen, außerdem ist es mir mit den zwei langen Unterhosen zu warm, so dass ich mich auf den Rückweg zum Zelt mache, während Nelson noch etwas zum Quatschen bleibt. Unterwegs sehe ich jede Menge goldige Viscachas zu Deutsch Chinchillas.
Zurück am Zelt mache ich erst einmal ein Nickerchen. Der restliche Tag war ein richtig schöner Basislager-Tag gefüllt mit Nichtstun außer Relaxen, Aussicht auf die tollen umliegenden Berge genießen (z.B. den Cabeza de Condor (Kopf des Condors) mit 5638m der höchste Gipfel der Condoriri-Region), Tee trinken, Essen und wieder früh schlafen gehen. Ich bin so froh, dass ich mich nicht habe bequatschen lassen, heute schon abzusteigen. Nicht nur, um morgen noch ein schönes 5000er-Gipfelchen zu erklimmen, sondern eben auch wegen des „an Ort und Stelle Bleibens“ und Bergwelt erleben.
(Fr. 27.4.) Illusion (etwa 5350m): Da wir vom Vortag nicht nur den Weg, sondern auch unsere Gehzeiten kannten, wussten wir, dass es genügte um 2 Uhr aufzustehen und um 3 Uhr loszugehen, wollten wir nicht in kompletter Finsternis am Gipfel stehen. Das Wetter war heute nicht so ganz einwandfrei. Direkt über uns war es zwar klar, aber just in der Richtung, in die wir gingen, beobachteten wir Wetterleuchten. Wie am Vortag waren wir nach genau einer Stunde am Gletscher, wo wir ein ausgiebiges Päuschen machten, um Gurt und Steigeisen anzulegen und uns zur Seilschaft zu verbandeln. Bis auf etwa halbe Höhe des Gletschers folgten wir unserer Spur von gestern, bevor wir nach rechts abdrehten und an ein paar größeren Gletscherspalten vorbei zum Illusion hinüber und hinauf stapften.
Besonders viel Spaß machte mir die Kraxelei am etwas 12m hohen felsigen Gipfelaufbau. Schön gestuft ging es im dritten Schwierigkeitsgrad luftig hinauf. 6:40 Uhr standen wir am höchsten Punkt, wobei eine hohe Bewölkung leider nur ein fahles Licht auf die umliegenden Berge wirft. Der Blick auf den Südwestgrat des Pequeno Alpamayo ist aber auch ohne postkarten-blauen Himmel und Sonnenschein beeindruckend. Dort sind wir gestern raufgeklettert?!!
Um 7 Uhr waren wir vom Gipfelaufbau bereits wieder runtergeklettert. Ich merke, dass ich letztes Jahr einiges in dieser Art von Gelände gemacht hab, denn ich fühle mich auch mit Steigeisen an den Füße im Fels wohl. Für Nelson haben wir im Hinblick auf seine letzte internationale Bergführerprüfung im September ein Übungsfeld identifiziert: im Gegensatz zum Schnee kann er hier seine Routine und Gewandtheit noch steigern. Für den Gletscherabstieg brauchen wir gerade mal eine halbe Stunde – sind also absolut speedy unterwegs ohne uns auch nur ein bischen gestresst zu haben, aber ich bin eben gerade super akklimatisiert und top in Form. Nach einem kurzen Päuschen geht es zurück zur Hütte bzw. Zelt, die wir 8:30 Uhr erreichen. Es ist noch so früh und schattig, dass kleine Teiche noch mit einer dünnen Eisschicht bedeckt sind. Bei einem zweiten Frühstück lassen wir die schöne Tour nochmal revue-passieren. Anschließend lege ich mich für eine halbe Stunde zum Relaxen und Dösen ins Zelt. Dann ist Zusammenpacken und Zelte abbauen angesagt bevor wir um 10 Uhr den Abstieg starten.
Kurz vor 16 Uhr fuhr ich mit dem Taxi zum Friedhof von wo aus die Busse nach Copacabana abfahren. Für umgerechnet nur etwa 1,50 Euro werde ich in grob vier Stunden nach Copacabana transportiert. Der spannendste Teil der Reise war das Übersetzen auf die zu Bolivien gehörende Halbinsel, die ansonsten nur über Peru zu erreichen ist. Passagiere und Busse werden separat übergesetzt. Die Menschen in kippeligen kleinen Booten und die Fahrzeuge in klapprige Kähne. Als Europäer vermutet man, dass jede zehnte Fähre umkippt und den Bus in den Tiefen des Titicacasees versenkt, aber es scheint regelmäßig gut zu gehen. Weil ich hundemüde bin, nehme ich das nächstbeste Hotel, bring noch meine kontaminierten Bergklamotten in die Wäscherei, packe meinen kleinen Rucksack für die 2-Tagestour auf die Sonneninsel und gehe bald schlafen.