Da so viele schöne Bilder von Machu Picchu entstanden sind, passt nicht immer Text zum Bild.
(Sa. 5.5.) Die Inkas hatten 40.000 km primäre Wege. Man versuche sich auszumalen wie viele Kilometer an Sekundärwegenetz bestanden haben könnte. Für die Touristen gibt es ebenfalls viele Wege nach Machu Picchu zu gelangen. Die verschiedenen Strecken und Möglichkeiten von teils sehr abweichender Dauer, werden zu unterschiedlichen Preisen angeboten. Ich habe mich –um möglichst viel von der Landschaft hier zu sehen und weil Mareike und Björn es wärmstens empfahlen – für den Hinweg für die Busfahrt entschieden und zurück nachts per Zug.
So sitze ich also früh morgens bereits im Bus, als mir das Schlitzohr von Reiseagent das Zugticket für die Rückfahrt herein reicht. Ich war davon ausgegangen, dass ich es Vorort ausgehändigt bekomme. Durch Zufall entdecke ich, dass dort 18:30 Uhr statt 21:30 Uhr als Abfahrtszeit steht. Ich gehe noch einmal raus und diskutiere das mit ihm. Denn ich habe inzwischen beim Spanisch das Stadium erreicht, in dem ich auch diskutieren kann; wahrscheinlich gespickt mit Fehlern, aber ich kann mich mittlerweile zur Wehr setzen. Er wollte mich damit ködern, dass das frühere Ticket doch viel teurer sei, ich es aber zum selben Preis bekommen würde. Das war mir jedoch völlig egal, mir ging es darum, abends noch Zeit zu haben, um mir den Ort Aguas Calientes anzuschauen und dort gemütlich zu Abend essen. Wie immer in solchen Situationen, war nichts auszurichten. Ich sehe es mittlerweile sportlich, sozusagen als Gelegenheit mein Spanisch auch in Situationen zu üben in denen die Emotionen höher schlagen.
Es war in der Tat eine sehr lange und anstrengende Fahrt im Kleinbus. Wenn die Überlandbusse hier genauso unbequem sind, dann werde ich für die Reise nach Lima vielleicht doch in den Flieger steigen. Ich denke aber übermorgen Richtung Nasca wird es wieder ein bequemer Bus sein. Beeindruckend steil geht es auf gut ausgebauter Straße von Ollantaytambo, was auf 2800m liegt, auf einen Pass mit einer Höhe von 4350m hinauf und auf der anderen Seite genau so steil und spektakulär – nun aber auf Schotter – wieder hinunter. Hinauf ging es durch relativ karge, vegetationsarme Landschaft. Die Abfahrt hat mich vom Bewuchs her sehr stark an die Death Road erinnert. Hier erschien mir der Dschungel mit Bananenstauden und Schmarotzerpflanzen auf größeren Bäumen jedoch noch üppiger und dichter als in Bolivien.
Die veränderte Landschaft macht auf mich den Eindruck, als sei ich mit dem Flieger in ein anderes Land geflogen, dabei bin ich nur mit dem Auto über einen Pass gefahren. Es ist beeindruckend wie unterschiedlich die Landschaft auf einen und auf der anderen Seite des Berges sein kann. Theoretisch müsste man hier einen tollen Blick auf einige schneebedeckte 5000er haben, aber passend zum Regenwald steckt alles in Wolken und Nebel. Lediglich nach unten bekommt man immer wieder atemberaubende Ausblicke. In jeder zweiten Kurve fällt mein Blick tief in steile Schluchten direkt links unterhalb von mir.
Gut, dass ich mir hier in der Gegend keinen hohen Berg zwecks Besteigung ausgesucht hatte. Denn gestern bei der Rückfahrt aus dem Valle Sagrado hätte man die beiden 6000er Ausangate und Salcantay sehen sollen, die aber dick in Wolken hingen. Und heute dasselbe Spiel: nicht nur Schleierbewölkung, sondern richtig dicke Cummulus- und Turmwolken. Also definitiv nichts um auf hohen Bergen herum zu steigen.
Mit dem Bus fährt man viereinhalb bis fünf Stunden, während man mit dem Zug nur eine Stunde und 20 Minuten unterwegs. Die Straße führt sozusagen einmal um den Berg herum. Auch wenn ich die Hinfahrt durch diese schöne Landschaft nicht hätte missen wollen, bin ich froh, für den Rückweg nochmal 35 Dollar extra in die Hand genommen zu haben, um diese anstrengende Busfahrt nicht noch ein zweites Mal machen zu müssen.
Ab Santa Maria folgt die schmäler und schlechter werdende Schotterpiste dem Fluss Urubamba talaufwärts. Die Straße ist z.T. so ausgesetzt an die steilen Felswände geklatscht, dass gleich mehreren von uns Touristen der Vergleich zur Death Road einfiel. In Santa Teresa wurden wir mit einem sehr späten, dafür umso einfacheren Mittagessen abgespeist, bevor die Fahrt gegen 16 Uhr an einem Elektrizitätswerk endete.
Ab hier war Wandern angesagt und zwar auf den Schienen und diesen entlang bis Aguas Calientes. Der Dschungel ist oftmals so dicht, dass der rauschende Fluss, der unseren Weg begleitet, nicht zu sehen ist. Das üppige Grün zieht sich auch die steilen Felswände empor, die im Licht der untergehenden Sonne erstrahlen. Als Kletterer frage ich mich wirklich, wie die Pflanzen in dieser Steilheit Halt finden. Im Talgrund dämmert es allmählich und die letzte halbe Stunde laufen wir im Schein unserer Stirnlampen.
(Sa. 6.5.) Der geneigte Leser wartet bestimmt schon darauf, dass ich endlich was zum UNESCO Weltkulturerbe Machu Picchu schreibe. Dazu kann ich nur sagen, dass die Lage einen wesentlichen Betrag leistet zum Zauber dieser „vergessenen Stadt“. Machu Picchu ist definitiv mehr als nur eine weitere archäologische Stätte. Für mich waren zwei Dinge von Besonderheit. Zum Einen – wie bereits angedeutet – die Lage und zwar im Großen d.h. die Anreise und eben auch im Kleinen. Sprich wo genau diese Stadt gebaut wurde: In einem von starken Mäandern geprägten Tal, liegt sie – wie versteckt – ganz oben droben. Man muss sich vorstellen, wie schwer sie zu erreichen war und auch heute noch ist.
Die Dimension dieser außergewöhnlichen Lage, habe ich erst von oben so richtig ausmachen können. Die gesamte gestrige Wanderung mit einer Gesamtlänge von 11 km war mehr oder minder nur einmal um den Berg herum auf dem die Machu Picchu-Stadt gebaut wurde. Bei Aguas Calientes schließt sich dann der nächste große Mäander an. Die zweite Besonderheit für mich war, wie gut diese Stätte erhalten ist. Dies liegt daran, dass die Stadt der Zerstörung durch die Spanier entging, weil diese sie nicht kanten bzw. gefunden hatten, denn zu diesem Zeitpunkt war sie bereits verlassen. Erst 1911 wurde Machu Picchu offiziell wieder entdeckt, auch wenn einige indianische Bauern die alten Terrassen auch vorher für den Anbau ihrer Gemüse nutzten.
Wer vermutet, ich wäre nachts um 4 Uhr aufgestanden, um mir das mit 9 USD sportlich hoch gepreiste Busticket zu sparen, der hat sich getäuscht. Ich zog es vor 1,5 Stündchen länger zu schlafen, statt den steilen, treppendurchsetzten Pfad hinauf zu keuchen, der recht unattraktiv verläuft indem er lediglich die Kehren der Serpentinenstraße abkürzt. Pünktlich zur Pfortenöffnung um 6 Uhr steige ich entspannt aus einem der ersten Busse, während einige Fußgänger so durchgeschwitzt und abgekämpft aussahen, als wäre es für sie das Beste sie würden sich mit dem Bus direkt zurück zum Hotel fahren lassen, dabei sollte doch der lange Besichtigungstag gerade erst beginnen.
Unsere Führung sollte um halb sieben beginnen, so dass wir vorab noch kurz Zeit hatten, zum sog. Wachhaus vorzugehen, von wo man den vermeintlich schönsten oder zumindest den weltbekannten Blick auf die gesamte Anlage hat. Vorteil dieser kleinen Vorabtour ist, dass einem noch keine Touristen durchs Bild springen; Nachteil: zumeist (so auch heute) ist es früh morgens noch so wolkenverhangen, dass man gar nicht die gesamte Stadt sieht, geschweige denn den markanten Berg, der dahinter aufragt.
Die zweistündige Führung leitete uns einmal durch die gesamte Anlage. Gut gefallen hat mir an unserem Guide, dass er uns nicht die Bedeutung jedes einzelnen Steinchen erklärte, sondern vielmehr versuchte uns möglichst viel von der Inka-Kultur näher zu bringen. Diese lässt sich nämlich in der Tat nicht mit westlichen, europäischen Maßstäben messen oder erklären. So gab es angeblich bei den Inkas, nicht so sehr „mein und dein“. Und genau das war auch ihr Problem, als die Spanier kamen. Die Inkas teilten bereitwillig Wissen und Besitz und konnten all zu leicht besiegt werden. In der inkaischen Kultur ging es nämlich primär um zwei Dinge: um gutes Essen und darum sich weiter zu bilden. Und weiterbilden kann man sich nur mit einem gut gefüllten Buch; mit Hunger lernt es sich schlecht.
Auch heute, mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung, ist trotz modernster Forschungsmethoden unklar, welchem Zweck die Stadt diente und wer hier wohnte. War es Zufluchtsstätte der Sonnenjungfrauen, Landresidenz der Herrscher, ein religiöses und astronomisches Zentrum für die Gelehrten oder gar eine Festung zum Schutz gegen Angriffe wilder Stämme aus dem Amazonasbecken. Wissenschaftlich abgesichert ist keine dieser Theorien, aber vielleicht ist es genau das, was diesen Ort so mystisch macht und alle Besucher in seinen Bann zieht. Fest steht, dass Machu Picchu ein bedeutendes heiliges Zentrum der Inkas war und seine Bewohner dank der Terrassenfelder und einer gesicherten Wasserversorgung autark leben konnten. Spannend fand ich auch das Detail, dass die Stätte aufgrund des feuchten und niederschlagsreichen Klimas gleich mehrmals freigelegt werden musste, weil jeweils schon nach wenigen Jahren die üppig wuchernde Vegetation die Stadt zurückerobert hatte.
Das Thema Touristenströme ist kein einfaches. Nachdem in den letzten Jahren die Besucherzahlen so stark angestiegen waren, dass sie mehr Schäden anrichten als Mensch und Natur in den 500 Jahren zuvor, drohte die UNESCO den Status als Weltkulturerbe wieder abzuerkennen. Seither versucht man die Quadratur des Kreises. Einerseits soll die einzigartige Geldquelle weiter kräftig sprudeln und Devisen und Arbeitsplätze bringen, zum anderen versucht man den Forderungen der UNESCO gerecht zu werden. Von zahlreichen Wärtern überwacht, bewegen sich heute täglich durchschnittlich etwa tausend Besucher auf definierten Wegen durch die Anlage. Klingt erst einmal viel, habe ich aber nicht als störend empfunden weil es sich ganz gut verteilt und früh morgens, sowie nachmittags merklich weniger los ist.
Der klassische Rundgang führt uns durch ein gut erhaltenes Steintour. Zunächst vorbei an einfacheren Gebäuderesten, kommt man in den heiligen Bereich der Stadt; genauer gesagt auf den heiligen Platz, der von mehreren Tempeln und Palästen umgeben ist. Mehrere Steinstufen führen zur höchsten Stelle im Tempelbezirk, von dem man einen tollen Blick auf das Handwerker- und Bürgerviertel hat. Kein Wunder, dass hier das wichtigste Heiligtum Machu Picchus steht, der Sonnenanker, mit welchem die Tageszeit und die Sonnenwenden bestimmt werden konnten. Dies wiederum war wichtig, um den Beginn der Regenzeit und den richtigen Zeitpunkt für die Aussaht zu bestimmen.
Die einfach konstruierten Gebäude der Unterstadt dienten als Wohnungen, Lager- und Speicherorte und unterscheiden sich stark vom perfekt gearbeiteten Mauerwerk des Königspalastes, den man durch ein trapezförmiges Steintor betritt. Auch die passgenau und mörtellos geschichteten Steinblöcke des Rundturms neben der Brunnenanlage deuten darauf hin, dass es sich eher um einen Sonnentempel mit religiöser Funktion handelt als nur um einen Getreidespeicher.
Da sich die Wolken mittlerweile aufgelöst hatten, genoss ich während meiner ausgedehnten Picknick-Pause den Ausblick auf die umliegenden subtropisch bewachsenen Berge und Steilhänge, sowie den sich tief unten dahin windenden Fluss. Nachmittags stattete ich noch der Inkabrücke einen Besuch ab. Hier wurden Holzbalken über einen Felsspalt gelegt und konnten im Verteidigungsfall weggezogen werden. Abschließend machte ich noch einen Ausflug zum gut 30 Minuten entfernten Sonnentor, das auf rund 2750m den Wanderern des Inka Trails erstmals den Blick auf Machu Picchu eröffnet.