Donnerstag, 29. März 2012

Santiago - unschöne Begrüßung


(Do. 22.3.) die nächtliche Busfahrt von Pucon nach Santiago war wirklich erholsam, ich habe 9 Stunden nahezu durchgeschlafen. Den Obstgarten Chiles, der das Land in den letzten Jahrzehnten zu einem der weltweit führenden Obstexporteuere gemacht hat, habe ich zwar durchfahren, aber verschlafen. Ich war bereits um 7 Uhr in Santiago und lernte beim Frühstück im Hostel ein französich-spanisches Pärchen kennen mit dem ich die Stadt erkunden wollte. Wir starteten mit dem Cerro San Christobal, weil er nah am Hostal ist und man von dort oben eine tolle Aussicht auf die Stadt hat, sozusagen ideal für einen ersten Eindruck und Überblick. Hoch sind wir mit der historischen Zahnradbahn gefahren, runter unglücklicherweise gelaufen.

Wir waren noch keine Stunde unterwegs, da wurden wir bereits ausgeraubt. Von zwei etwa 17jährigen, aber was will man machen, wenn sie einem das Messer vor die Nase halten. Nachts soll man da nicht hingehen, aber am hellichten Tage nur 300-400m vom Parkausgang entfernt... Auch wenn ich nach außenhin geistesgegenwärtig oder intuitiv richtig reagiert habe, indem ich stehen geblieben bin und nicht wie die beiden anderen versucht habe wegzurennen und die daraufhin umgeschubst wurden, so hab ich mir doch im wahrsten Sinne des Wortes vor Angst in die Hosen gemacht. Die abgelaufene Kreditkarte, die ich ihm zunächst entgegenstreckte, interessierte ihn nicht, er wollte das Geld, sprich das gesamte Portemonaie.

Ich bin froh, dass er mir nur das kleine Portemonaie genommen hat und keine wichtigen Karten drin waren oder sonstige wichtige Dokumente abhanden gekommen sind. Für das Smartphone, welches ich in einer anderen Hosentasche hatte und die Kamera in meiner kleinen Plastiktüte hat er sich zum Glück nicht interessiert. Blöd wirklich nur, dass ich mich just am Vortag am Geldautomaten frisch mit chilenischen Pesos versorgt hatte und ausserdem bei der Aktion noch ein paar US-Dollar und Euros dabei den Besitzer gewechselt haben.
Meine erste Stadtrundfahrt war also eine der besonderen Art in einem grün-weißen Fahrzeug, welches leider nur einen vergitterten Blick nach draussen ermöglichte. Den gesamten restlichen Tag konnten wir wegen Polizei, Anzeige etc. komplett abschreiben. Tja, das ist die dunkle Seite des Reisens. Vielleicht ist das nunmal leider einfach "part of the game". Trotzdem werde vermutlich recht bald aus der Stadt abhauen.

Ein neuer Tag - Santiago hat auch schöne Seiten
(Fr. 23.3.) Heute habe ich mich - wie auch schon in Buenos Aires - einer geführten Stadtführung in der Gruppe angeschlossen und dabei einige interessante Details erfahren, die in keinem Reiseführer nachzulesen sind: Am 18.9. - dem Unabhängigkeitstag - MUSS jeder Chilene die Nationalflagge hissen, sonst zahlt er Strafe. Aber weil die Chilenos ihre Flagge ohnehin lieben, laufen im September sogar die Hunde in den Nationalfarben gekleidet - ja, hier werden die Hunde im Winter angezogen - herum. Angeblich eröffnen immer mehr kleine Boutiquen, in denen man seinen treusten Freund einkleiden kann. Die aufgetragenen Teile werden - sozusagen Second-Hand - an die Strassenhunde weitergereicht. Für diese bringen die Leute von zuhause das gute Hundefutter mit und verfüttern es. Manchmal bekommen die Strassenhunde sogar noch eine Runde Streicheleinheiten von einer mit einem Gummihandschuh geschützten Hand.

Das Thema der Woche ist: das Null-Alkohol-Limit wurde vor zwei Wochen eingeführt. Wer mit Alk im Blut am Steuer erwischt wird, gibt seinen Führerschein für 5 (!!) Jahre ab, wer einen Unfall unter Alkoholeinfluss hat, verliert den Lappen lebenslänglich. Der Umsatz der Bar- und Kneipenbesitzer ist um die Hälfte einge-brochen, weil die Leute nicht mehr weggehen oder auf alkohol-freies Bier umgestiegen sind.
Die Stadtführung endete vor dem Haus des chilenischen Dichters und Schriftsteller Pablo Neruda, der 1971 den Literaturnobelpreis erhielt. Er war auch ein Sammler ausgefallener Kunst und hatte gerne Freunde zu Besuch. Ich musste spontan an Kaufmanns (Freunde meiner Eltern) denken.

Nach zwei Stunden Füße hochlegen im Hostel, fuhr ich mit der Metro zum Büro von Navimag, um meine Brille abzuholen. "Sanhatten" nennen die Hauptstädter diesen Stadtteil. Hochhäuser mit spiegelnden Glasfassaden versuchen sich hier gegenseitig zu übertreffen und immer neue schießen aus dem Boden. Seit ein paar Jahren ragt hier das höchste Gebäude Chiles in den Himmel. Im Laufe des Jahres soll der Torre Gran Costanera eingeweiht werden. Wenn ich mir das noch nackte Betongerippe so anschaue, habe ich daran allerdings Zweifel. Mit 300m Höhe ist er der höchste Wolkenkratzer Südamerikas. Warum dieser just im erdbebengebeutelten Santiago stehen muss, verstehe wer wolle.


Auf dem Heimweg bin ich an einer genialen Street-Dance-Session vorbeigekommen. Eine glatte Marmorplatte vor einem Monument, das sich auf einer größeren Verkehrsinsel einer der Hauptverkehrsknotenpunkte in der Innenstadt befindet, dient als Bühne. Wobei es eigentlich mehr ein Sich-Treffen und Spass-Haben ist, als gezielt darauf ausgerichtet Geld von den Passsanten einzusammeln, die gebannt stehen bleiben.



Ein paar Meter weiter arbeiten drei Strassenkünstler im Wortsinn auf der Strasse und zwar indem Akrobaten vor den an der roten Ampel wartenden Autofahrern zwei bis drei Kunststücke zeigen, um kurz vor dem Umschalten auf Grün noch kurz durch die Reihen zu laufen und das Geld einzusammeln. Eine Kreuzung weiter tanzte eine junge Frau einige elegante Balletschritte, um sich etwas Geld zu verdienen. Jeder tut hier irgendwas und wenn er nur Schuhputzer ist oder mit einer Kühlbox einige Getränkedosen in der Fussgängerzone anbietet; nur betteln sieht man hier selten.

Sonstige Besonderheiten: Nümmerchen ziehen, habe ich heute sogar bei einer Eisdiele gesehen, sonst gerne mal in der Apotheke. A propos Apotheken... in denen stehen öfters Geldautomaten - meist ohne lange Schlangen, wie sonst gerne mal der Fall ist.

Die Stadt an sich, vor allem wieviel Leben auf der Strasse ist, gefällt mir ausgesprochen gut, die hohe Kriminalität von der man aller Orten was mitbekommt, ist jedoch - sorry - zum Kotzen.

Sightseeing Teil 2



(Sa. 24.3.) Zusammen mit Jeremy bin ich nochmal auf Erkundungstour gegangen. Zuerst am klassizistischen Gebäude des Museo de Bellas Artes vorbei und nur kurz einen Blick in die zentrale Ausstellungshalle geworfen. Dann weiter zum Blumen- und Gemüsemarkt La Vega Chica - so Märkte gefallen mir ja immer besonders gut. Der Mercado Central hingegen ist - abgesehen von den Fischständen auf der Rückseite - eher ein Touristenflopp mit vielen Restaurants und ein paar kümmerlichen Marktständen. Aber das Gebäude ist ansprechend - eine Eisenkonstruktion von 1872, die in England gefertigt und hier zusammengebaut wurde.

Weiter gehts zur Estacion Mapocho. Seit 1980 ist der ehemalige Bahnhof Kulturzentrum - eine sehr gelungene Umwandlung. Wir gehen zum zentralen Platz Plaza de Armas. Die gestrige Stadttour ist zwar hier gestartet, aber wir sind in kein einziges Gebäude reingegangen. Wir besichtigen also die Kathedrale und die Hauptpost, Correo Central, von Innen. Die 1769 erbaute Casa Colorado, einer der wichtigsten Kolonialbauten Santiagos, konnten wir leider nur von aussen besichtigen. Das darin untergebrachte Museo de Santiago hat leider seit dem Erdbeben 2010 geschlossen. Auch die Basilica de la Merced ist leider zu.

Wir schlendern an weiteren auf unterschiedlichste Art beein-druckende Gebäude vorbei: Placio Real Casa Aduana, der ehemalige Kongress, der Palast des Obersten Gerichtshofes, das Teatro Municipal, die Bolsa de Comercio (Börse), die Universidad de Chile und der geschichtsträchtige Palacio de la Moneda. Als am 11. September 1973 das Militär unter Leitung von Pinochet putschte, wurde der Präsidentenpalast, in dem sich Allende verschanzt hatte, von Fliegern bombadiert. Dieses Ereignis und der sich anschließend grenzenlose Terror der Militärjunta wird anhand von altem Film- und Tonmaterial, und Erlebnisberichten von Opfern sehr sehr eindrücklich im erst 2010 eröffneten Museo de la Memoria, was wir anschießend besuchten, dargestellt.

Jeremy wollte sich das Metroticket, das hier nichtmal nen Euro kostet, sparen und zurück zum Hostel zu Fuß gehen. Ich hätte ihn einfach einladen sollen, statt mir die Füße entlang einer breiten, vielbefahrenden und daher stinkenden und lauten Strasse noch platter zu laufen. Next time. Im Hostel hole ich nur schnell meinen Rucksack und starte gegen 17 Uhr gleich wieder zum Busterminal durch. Die Busse nach Valparaiso fahren etwa alle 10 Minuten, so dass ich direkt einsteigen kann und schon zwei Stunden später bin ich dort. Ich fahr mit dem Taxi zum anvisierten Hostel. Leider ist es ausgebucht, aber der Deutsche Inhaber lädt mich spontan auf ein Bierchen in seinem Innenhof ein und bringt mich anschließend im Hostal eines Freundes - ebenfalls Deutscher - unter, das gleich um die Ecke liegt. Das Zimmer ist etwas muffig, aber ich hab es für mich alleine - auch gut.