Schon nach einer dreiviertel Stunde wurde ich vom fünften Auto mitgenommen; die anderen waren voll oder hatten signalisiert, dass sie nicht weit fahren. Mein "Fahrer" ist Waldarbeiter und lebt 3km von der argentinischen Grenzstation Hua-Hum entfernt. Nur am Wochenende holpert er mit seinem alten Normal-PKW über die 50km Schotterpiste, die am Nordufer des langezogenen Lago Lacar entlangführt, nach San Martin und zurück - mein Glück. Um halb zwölf werde ich direkt am argentinischen Genzposten abgesetzt und freue mich die vermeintlich größte Herausforderung des Tages gemeistert zu haben. Lediglich ein Grenzer - ein Bübchen Anfang 20 - bewacht die "Frontera Inernational". Den Ausreisestempel würde ich mir natürlich erst geben lassen, wenn ich eine Möglichkeit zur Weiterreise gefunden hätte. Jetzt quatsche ich erstmal eine Runde mit ihm, u.a. über meine Chancen weiter zu kommen. Von Chile nach Argentinien seien es zwischen vier und fünf Autos am Tag, in umgekehrter - also meiner - Richtung seien es ein bis zwei. Nicht gerade üppig wie ich finde, aber im Prinzip reicht mir ja ein Auto - es muss mich nur mitnehmen. Eine weitere Ernüchterung tritt ein, als ich im Gespräch einen Irrtum aufdecke. Aufgrund verschiedener Karten (Reiseführer, Touristeninformation) war ich der Meinung, dass Puerto Pirehueco die chilenische Grenzstation am gleichnamigen See ist. Als Entfernung waren mir 7km genannt worden, so dass ich zur Not bis zur Fähren laufen wollte. Nun stellte sich aber heraus, dass es zwar 7km bis zur chilenischen Grenzstation sind, aber nochmal 7km bis zum See - also definitiv zu viel, um mit zwei Rucksäcken zu Fuß zu gehen. Außerdem erfahre ich, dass die Autos - wenn überhaupt welche kommen - in der Regel zwischen 13:00 und 13:30 Uhr die Grenze passieren, weil ja die Fähre bekanntermaßen erst um 16 Uhr fährt. Tja, damit hatte sich dann auch mein Plan B notfalls mit dem Bus um 14 Uhr zu fahren in Luft aufgelöst. Jetzt hieß es Augen zu und durch.
Gerade wollte ich mich draußen in der Sonne niederlassen, um zumindest Apfel, Kaba und Kekse zu verzehren, bevor sie der strengen chilenischen Grenzkontrolle zum Opfer fallen würden, da kam ein moderner Jeep mit chilenischem Kennzeichen. Ich bin so aufgeregt, dass ich spontan all mein Spanisch vergessen habe. Stammelnd laufe ich hinter den Ehepaar her ins Grenzhäuschen, wo der Grenzer, der ja meine Geschichte schon kennt, für Aufklärung sorgen kann. Er ist bereit mich mitzunehmen, die Frau macht zunächst einen wenig begeisterten Eindruck. Später am Tag, als ich auch wieder in der Lage bin etwas spanisch zu plaudern, ist sie es, die sich ganz rührend z.B. bei der Kioskbetreiberin erkundigt, wie ich auf der anderen Seite des Sees am besten weiterkommen würde.
Ich darf also mitfahren. Zunächst bis zur chilenischen Grenzstation Hua-Hum. Dort geht es wirklich beschaulich zu. Grenzer und Zollkontrolleur müssen erst aus irgendwelchen nahen Häusern herbeigeholt werden. Da ich meine eiserne Reserve an Lebensmitteln (Spagetti, Brot, eine Koservenbüchse mit Streichwurst, Kekse, Schoki und Dörrpflaumen) ungern in vorauseilendem Gehorsam in den Mülleimer werfe, entschließe ich mich diesmal dazu, dem Kontrolleur einfach die gesamte Tüte unter die Nase zu halten. Die Strategie geht auf, nur die Pflaumen wandern in den Müll. Ich hätte nicht gedacht, dass die Wurst auch nur den Hauch einer Chance hat. Absolutes No-Go ist allerdings die Riesenportion Schinken-Käse-Sandwiches, welche das Ehepaar als Verpflegung für den Tag dabei haben, so dass sie mich zu einem Spontan-Picknick einladen.
Mit dem mittlerweile x. chilenischen Einreisestempel geht es weiter nach Puerto Pirehueco, welches aus ein paar Häusern, einem geschlossenen Kiosk und der Anlegestelle besteht. Da es erst 13 Uhr ist, heißt es hier knapp drei Stunden warten. Ich setze mich an den See und lese, später als das Kiosk aufmacht, gibts noch lecker Nescafe. Als die Fähre anlegt und das Ent- und Beladen beginnt, kommt Leben in das Örtchen. Pünktlich 16 Uhr legen wir ab, mit an Bord sind fünf PKWs, ein Sattelschlepper und ein Kamerateam, das für einen regionalen Sender eine Reportage dreht. Sie wollen mich filmen wie ich Fotos mache von dem Urwald an dem wir vorbei schippern. Später muss ich sogar noch für ein kurzes Interview herhalten - in spanisch versteht sich.
Nach eineinhalbstündiger Überfahrt, während der es angefangen hat zu regnen, sind wir in Puerto Fuy. Durch die Autoscheibe entdecke ich sogar einen Bus, in den ein einziger Fahrgast einstieg. Wer weiß, wohin der fährt und wie ich von dort an einem Sonntagabend weiterkomme. Da das Ehepaar vorhat auf direktem Weg die großen, gut ausgebauten Straßen anzusteuern, auf denen ich gute Chancen habe eine Busverbindung zu bekommen, setze ich meine Reise mit ihnen fort. Dann passiert etwas Unerwartetes: an der ersten Kreuzung steht auf einem Schild Villarica via Conaripe und Lican Ray angeschrieben. Die beiden entscheiden sich spontan um und damit für weitere gut 50km Schotter, um mich in Villarica abzusetzen. Was heute Vormittag so zögerlich begann, ist jetzt überaus herzlich. Bei der Weiterfahrt zeigen sie mir voller Begeisterung die chilenische Nationalblume "Copihue" (@Barbara: chilen. Wachsglocke bzw. Lapageria rosea).