Donnerstag, 29. März 2012

Santiago - unschöne Begrüßung


(Do. 22.3.) die nächtliche Busfahrt von Pucon nach Santiago war wirklich erholsam, ich habe 9 Stunden nahezu durchgeschlafen. Den Obstgarten Chiles, der das Land in den letzten Jahrzehnten zu einem der weltweit führenden Obstexporteuere gemacht hat, habe ich zwar durchfahren, aber verschlafen. Ich war bereits um 7 Uhr in Santiago und lernte beim Frühstück im Hostel ein französich-spanisches Pärchen kennen mit dem ich die Stadt erkunden wollte. Wir starteten mit dem Cerro San Christobal, weil er nah am Hostal ist und man von dort oben eine tolle Aussicht auf die Stadt hat, sozusagen ideal für einen ersten Eindruck und Überblick. Hoch sind wir mit der historischen Zahnradbahn gefahren, runter unglücklicherweise gelaufen.

Wir waren noch keine Stunde unterwegs, da wurden wir bereits ausgeraubt. Von zwei etwa 17jährigen, aber was will man machen, wenn sie einem das Messer vor die Nase halten. Nachts soll man da nicht hingehen, aber am hellichten Tage nur 300-400m vom Parkausgang entfernt... Auch wenn ich nach außenhin geistesgegenwärtig oder intuitiv richtig reagiert habe, indem ich stehen geblieben bin und nicht wie die beiden anderen versucht habe wegzurennen und die daraufhin umgeschubst wurden, so hab ich mir doch im wahrsten Sinne des Wortes vor Angst in die Hosen gemacht. Die abgelaufene Kreditkarte, die ich ihm zunächst entgegenstreckte, interessierte ihn nicht, er wollte das Geld, sprich das gesamte Portemonaie.

Ich bin froh, dass er mir nur das kleine Portemonaie genommen hat und keine wichtigen Karten drin waren oder sonstige wichtige Dokumente abhanden gekommen sind. Für das Smartphone, welches ich in einer anderen Hosentasche hatte und die Kamera in meiner kleinen Plastiktüte hat er sich zum Glück nicht interessiert. Blöd wirklich nur, dass ich mich just am Vortag am Geldautomaten frisch mit chilenischen Pesos versorgt hatte und ausserdem bei der Aktion noch ein paar US-Dollar und Euros dabei den Besitzer gewechselt haben.
Meine erste Stadtrundfahrt war also eine der besonderen Art in einem grün-weißen Fahrzeug, welches leider nur einen vergitterten Blick nach draussen ermöglichte. Den gesamten restlichen Tag konnten wir wegen Polizei, Anzeige etc. komplett abschreiben. Tja, das ist die dunkle Seite des Reisens. Vielleicht ist das nunmal leider einfach "part of the game". Trotzdem werde vermutlich recht bald aus der Stadt abhauen.

Ein neuer Tag - Santiago hat auch schöne Seiten
(Fr. 23.3.) Heute habe ich mich - wie auch schon in Buenos Aires - einer geführten Stadtführung in der Gruppe angeschlossen und dabei einige interessante Details erfahren, die in keinem Reiseführer nachzulesen sind: Am 18.9. - dem Unabhängigkeitstag - MUSS jeder Chilene die Nationalflagge hissen, sonst zahlt er Strafe. Aber weil die Chilenos ihre Flagge ohnehin lieben, laufen im September sogar die Hunde in den Nationalfarben gekleidet - ja, hier werden die Hunde im Winter angezogen - herum. Angeblich eröffnen immer mehr kleine Boutiquen, in denen man seinen treusten Freund einkleiden kann. Die aufgetragenen Teile werden - sozusagen Second-Hand - an die Strassenhunde weitergereicht. Für diese bringen die Leute von zuhause das gute Hundefutter mit und verfüttern es. Manchmal bekommen die Strassenhunde sogar noch eine Runde Streicheleinheiten von einer mit einem Gummihandschuh geschützten Hand.

Das Thema der Woche ist: das Null-Alkohol-Limit wurde vor zwei Wochen eingeführt. Wer mit Alk im Blut am Steuer erwischt wird, gibt seinen Führerschein für 5 (!!) Jahre ab, wer einen Unfall unter Alkoholeinfluss hat, verliert den Lappen lebenslänglich. Der Umsatz der Bar- und Kneipenbesitzer ist um die Hälfte einge-brochen, weil die Leute nicht mehr weggehen oder auf alkohol-freies Bier umgestiegen sind.
Die Stadtführung endete vor dem Haus des chilenischen Dichters und Schriftsteller Pablo Neruda, der 1971 den Literaturnobelpreis erhielt. Er war auch ein Sammler ausgefallener Kunst und hatte gerne Freunde zu Besuch. Ich musste spontan an Kaufmanns (Freunde meiner Eltern) denken.

Nach zwei Stunden Füße hochlegen im Hostel, fuhr ich mit der Metro zum Büro von Navimag, um meine Brille abzuholen. "Sanhatten" nennen die Hauptstädter diesen Stadtteil. Hochhäuser mit spiegelnden Glasfassaden versuchen sich hier gegenseitig zu übertreffen und immer neue schießen aus dem Boden. Seit ein paar Jahren ragt hier das höchste Gebäude Chiles in den Himmel. Im Laufe des Jahres soll der Torre Gran Costanera eingeweiht werden. Wenn ich mir das noch nackte Betongerippe so anschaue, habe ich daran allerdings Zweifel. Mit 300m Höhe ist er der höchste Wolkenkratzer Südamerikas. Warum dieser just im erdbebengebeutelten Santiago stehen muss, verstehe wer wolle.


Auf dem Heimweg bin ich an einer genialen Street-Dance-Session vorbeigekommen. Eine glatte Marmorplatte vor einem Monument, das sich auf einer größeren Verkehrsinsel einer der Hauptverkehrsknotenpunkte in der Innenstadt befindet, dient als Bühne. Wobei es eigentlich mehr ein Sich-Treffen und Spass-Haben ist, als gezielt darauf ausgerichtet Geld von den Passsanten einzusammeln, die gebannt stehen bleiben.



Ein paar Meter weiter arbeiten drei Strassenkünstler im Wortsinn auf der Strasse und zwar indem Akrobaten vor den an der roten Ampel wartenden Autofahrern zwei bis drei Kunststücke zeigen, um kurz vor dem Umschalten auf Grün noch kurz durch die Reihen zu laufen und das Geld einzusammeln. Eine Kreuzung weiter tanzte eine junge Frau einige elegante Balletschritte, um sich etwas Geld zu verdienen. Jeder tut hier irgendwas und wenn er nur Schuhputzer ist oder mit einer Kühlbox einige Getränkedosen in der Fussgängerzone anbietet; nur betteln sieht man hier selten.

Sonstige Besonderheiten: Nümmerchen ziehen, habe ich heute sogar bei einer Eisdiele gesehen, sonst gerne mal in der Apotheke. A propos Apotheken... in denen stehen öfters Geldautomaten - meist ohne lange Schlangen, wie sonst gerne mal der Fall ist.

Die Stadt an sich, vor allem wieviel Leben auf der Strasse ist, gefällt mir ausgesprochen gut, die hohe Kriminalität von der man aller Orten was mitbekommt, ist jedoch - sorry - zum Kotzen.

Sightseeing Teil 2



(Sa. 24.3.) Zusammen mit Jeremy bin ich nochmal auf Erkundungstour gegangen. Zuerst am klassizistischen Gebäude des Museo de Bellas Artes vorbei und nur kurz einen Blick in die zentrale Ausstellungshalle geworfen. Dann weiter zum Blumen- und Gemüsemarkt La Vega Chica - so Märkte gefallen mir ja immer besonders gut. Der Mercado Central hingegen ist - abgesehen von den Fischständen auf der Rückseite - eher ein Touristenflopp mit vielen Restaurants und ein paar kümmerlichen Marktständen. Aber das Gebäude ist ansprechend - eine Eisenkonstruktion von 1872, die in England gefertigt und hier zusammengebaut wurde.

Weiter gehts zur Estacion Mapocho. Seit 1980 ist der ehemalige Bahnhof Kulturzentrum - eine sehr gelungene Umwandlung. Wir gehen zum zentralen Platz Plaza de Armas. Die gestrige Stadttour ist zwar hier gestartet, aber wir sind in kein einziges Gebäude reingegangen. Wir besichtigen also die Kathedrale und die Hauptpost, Correo Central, von Innen. Die 1769 erbaute Casa Colorado, einer der wichtigsten Kolonialbauten Santiagos, konnten wir leider nur von aussen besichtigen. Das darin untergebrachte Museo de Santiago hat leider seit dem Erdbeben 2010 geschlossen. Auch die Basilica de la Merced ist leider zu.

Wir schlendern an weiteren auf unterschiedlichste Art beein-druckende Gebäude vorbei: Placio Real Casa Aduana, der ehemalige Kongress, der Palast des Obersten Gerichtshofes, das Teatro Municipal, die Bolsa de Comercio (Börse), die Universidad de Chile und der geschichtsträchtige Palacio de la Moneda. Als am 11. September 1973 das Militär unter Leitung von Pinochet putschte, wurde der Präsidentenpalast, in dem sich Allende verschanzt hatte, von Fliegern bombadiert. Dieses Ereignis und der sich anschließend grenzenlose Terror der Militärjunta wird anhand von altem Film- und Tonmaterial, und Erlebnisberichten von Opfern sehr sehr eindrücklich im erst 2010 eröffneten Museo de la Memoria, was wir anschießend besuchten, dargestellt.

Jeremy wollte sich das Metroticket, das hier nichtmal nen Euro kostet, sparen und zurück zum Hostel zu Fuß gehen. Ich hätte ihn einfach einladen sollen, statt mir die Füße entlang einer breiten, vielbefahrenden und daher stinkenden und lauten Strasse noch platter zu laufen. Next time. Im Hostel hole ich nur schnell meinen Rucksack und starte gegen 17 Uhr gleich wieder zum Busterminal durch. Die Busse nach Valparaiso fahren etwa alle 10 Minuten, so dass ich direkt einsteigen kann und schon zwei Stunden später bin ich dort. Ich fahr mit dem Taxi zum anvisierten Hostel. Leider ist es ausgebucht, aber der Deutsche Inhaber lädt mich spontan auf ein Bierchen in seinem Innenhof ein und bringt mich anschließend im Hostal eines Freundes - ebenfalls Deutscher - unter, das gleich um die Ecke liegt. Das Zimmer ist etwas muffig, aber ich hab es für mich alleine - auch gut.

Blick in den qualmenden Krater des Villarrica

(Mi. 21.3.) Bevor ich mit der Beschreibung der Besteigung loslege, vielleicht noch ein Worte dazu, warum wir unbedingt "alleine", d.h. in Eigenregie ohne Führer da rauf wollten; denn das scheint sich Nichtbergsteigern ggf. nicht ad hoc zu erschließen. Abgesehen davon, dass sich natürlich das Schwabenherz gefreut hat, so ein paar Kröten zu sparen (das wolltet ihr doch lesen, stimmt's?!), hatten wir keine Lust im Gänsemarsch irgendeinem Vorturner hinterher zu wackeln. Das mach ich in den Alpen nicht und das mach ich auch hier nicht, zumindest nicht solange es nicht notwendig ist; sprich, wenn ich den Anforderungen gewachsen bin und eine Besteigung in Eigenregie verantworten kann. Außerdem muss man berücksichtigen, wer eine solche Tour mit einer Agentur bucht. In der Gruppe mit der wir zum Vulkan gefahren sind, war beispielsweise ein Inder dabei, der noch nie mit eigenen Augen Schnee gesehen hat, geschweige denn mit Steigeisen darauf gelaufen ist. Und wenn soeiner nicht zurecht kommt, muss evtl. die ganze Gruppe umkehren.


Also... 6 Uhr hieß es aufstehen, denn 6:45 Uhr startet gegenüber der Transport. Ein kurzer Schlenker an der Vulkan-Ampel, die an der Touri-Info hängt, sie ist auf grün, also steht unserem Vorhaben nichts mehr im Wege. Am Parkeingang müssen Björn und ich den Eintritt bezahlen, bei den anderen ist es enthalten. Bei ihnen ist ebenfalls der kleine Skilift enthalten, der einem 400 Höhenmeter spart, der aber heute nicht läuft. Zufall oder ein Zubrot für die Touranbieter? Ein Schelm wer Böses denkt. Als wir kurz vor 8 Uhr auf einer Höhe von 1400m loslaufen, zeichnet sich am Himmel das Farbenspiel des Sonnenaufgangs ab. Wir sind auf der sonnenabgewandten Seite und können nur den Schatten sehen, den der Vulkan auf das Wolkenmeer unter uns wirft.

Was ist das eigentlich für ein Gipfel auf den wir da raufwollen? Der Vulkan Villarrica ist 2840m hoch, hat eine absolut gleich-mäßige Kegelpyramide und wir deshalb oft als "der Schönste" bezeichnet. Außerdem ist er sehr aktiv und immer rauchend. Nachts glüht er, steht in meinem Reiseführer und Björn und Mareike hatten tatsächlich das Glück dies zu sehen, ich leider nicht.
Am oberen Ende des Lifts steht das CONAF-Kontrollzelt. Wir müssen lediglich unsere Namen zu Protokoll geben und bejahen, dass wir die erforderliche Ausrüstung mitführen, sehen will diese und auch den Alpenvereinsausweis niemand. Wir gehen ruhig und gleichmäßig, denn hetzen macht a) keine Spass und b) bringt es nichts, weil wir eh auf "unsere" Gruppe warten müssen, mit der wir den Rücktransport haben. Trotzdem lassen wir dort wo der Schnee beginnt (etwa bei 2000m) die letzten hinter uns.

Eine Stelle ist wie eine Düse, man muss sich ordentlich gegen den Wind stemmen. Das Spazierengehen hört auf und das Bergsteigen fängt an und - wen wundert es - die meisten Gruppen kehren um. Auch hier ein Schelm wer Böses denkt, aber die Aussicht auf einen freien Nachmittag kann wahrscheinlich auch der ein odere andere Führer nicht verdrängen. Unterhalb des Gipfels müssen wir aber durch beissender Qualm. Wir versuchen so weit es geht auszuweichen, indem wir ganz am rechten Rand des Schneefelds aufsteigen. Aber ab und an läßt es sich nicht vermeiden, sich die Fleecemütze vor Mund und Nase zu halten - das hilft. Die letzten paar hunder Höhenmeter steigen wir durch etwas mühsames Lavagestein auf. 11:45 Uhr sind wir oben, weichen auf die Luvseite aus und blicken in den Krater oder vielmehr in den dichten Qualm, der heraussteigt.

Wir laufen auf dem Kraterrand halb herum und sehen von der anderen Seite den Lanin - einen gut 3700m hohen Vulkan auf der Grenze von Chile zu Argentinien. Auch die erkalteten Lavaströme an der Basis sind gut zu erkennen. Bis wir genügend Fotos gemacht hatten, war über eine Stunde rum (die anderen nur 5 Min. wie wir später erfahren sollten). 13 Uhr treten wir in aller Ruhe den Abstieg an und machen viele Pausen, weil wir ja eh auf die anderen warten müssen, mit denen wir ja den Rücktransport haben. Trotzdem brauchen wir nur zweieinhalb Stunden bis zum Parkplatz, denn auf dem Schnee konnten wir auf den Schuhsohlen abfahren und in den lockeren Vulkankieseln an seiner Basis, ging es eh ratz fatz. Von den gut 80 Leuten, die morgens ungefähr angetreten waren, war übrigens nur eine Zwölfergruppe, unsere Kleingruppe (ohne den Inder) und wir oben. Wieder im Hostel, werfe ich mich unter die Dusche und genieße anschließend nochmal eine Massage. Ich dachte ursprünglich, das 1,5 Std. locker reichen würden, um in Ruhe nochmal das gute Essen zu genießen. Nur leider war die Küche heute heute besonders lahm. Naja, hab dann doch noch just in time den Bus um 21 Uhr erreicht und schon vor 22Uhr hatte ich die Äuglein zu.


Abhängen in Pucon

(Mo. 19.3.) eigentlich wollte ich ja ausschlafen, aber weil ich schon um halb elf die Augen zugemacht hatte, war ich kurz nach 8 Uhr wach. Hab mich noch eine Weile noch rumgeräkelt, dann gelesen, und 10 Uhr zum Frühstück, a la carte wie sich rausstellt, also nicht inkludiert, aber gut.


Fast hab ich ein schlechtes Gewissen, als ich mich wieder aufs Bett hocke und tippe, statt irgendwas zu unternehmen oder mir zumindest den Ort anzusehen. Aber als es kurze Zeit später zu regnen und sogar gewittern anfängt, bin ich versöhnt. Ich mach mal wieder genau das Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Am späteren Nachmittag ess eich das von Argentinien importierte Brot mit Leberwurst, bevor es mich dann doch rauszog. Aber schon nach einer knappen halben Stunde treibt mich der heute zum dritten Mal einsetzende Regen wieder ins Hostel und außerdem die gebuchte Massage um 18 Uhr. Das war absolut professionell und super! Emil, der morgens das Frühstück serviert, lockert mich vom Scheitel bis zur Sohle - um genau zu sein in der umgekehrten Richtung. Denn zugegebenermaßen zwickt es seit dem schwer beladenen Abstieg im Cochamo-Tal etwas im Rücken. Nach fast eineinhalb Stunden stehe ich wie neu geboren und etwas durmelig von der Massageliege auf. Weil halb acht schon durch ist und ich außerdem Hunger habe, bleibe ich gleich unten im Restaurant, was wirklich eine ausgezeichnete vegetarische Küche hat.

(Di. 20.3.) Nach einem gemütlichen Vormittag im Hostel, treff ich mich mit Björn und Mareike (wird leider nicht mit dabei sein, weil sie erkältet ist) um 12 Uhr vor der Touri-Info, um unsere morgige Besteigung des Vulkans Villarrica zu planen. Wir fangen mit dem wichtigsten an - der Registrierung bei der Nationalparkverwaltung CONAF. Eine Kopie des Passes hinterlegen und das Vorzeigen des Alpenvereinsausweises genügt. Dass man diesen Ausweis z.B. auch als Fördermitglied bekommt und über keinerlei Bergerfahrung verfügt, ist egal, das bunte Papierchen reicht offenbar aus, um die Bergerfahrung und Kompetenz nachzuweisen - Chile eben. Bei CONAF läuft alles echt easy durch. Für uns überraschend, denn mehrfach hatten wir gehört, eine Besteigung ohne Guide sei verboten.

Als nächstes organisieren wir den Transport und die Ausrüstung (Steigeisen, Pickel und Helm, welche man am Checkpoint vorzeigen muss. Auch auf der Suche nach Leih-Equipment, war die erste Antwort der Komplett-Tour-Anbieter stets: das geht nicht, das ist verboten! Als wir sagten, dass wir die Registrierung bereits hinter uns haben, ging das große Rätselraten bzw. Nachfragen beim Chef los, was "nur" Ausleihe bzw. Transport kostet - wird wohl doch nicht so oft in Eigenregie gemacht. Wir checken verschiedene Anbieter, die Preise variieren, aber alle wissen erst am Abend, ob sie Material und Transportkapazitäten für uns übrig haben. Also gehen wir in meinem Hostel noch gemeinsam Mittagessen und verabreden uns erneut für 19:30 Uhr.

Nachdem ich mich schnell in kurze Hose und T-Shirt geworfen habe, fahre ich 15 Uhr mit dem öffentlichen Kleinbus nach Curarruhue - ein Mapuche-Dorf ca. 30km von Pucon entfernt. Ich will jetzt nicht sagen, dass der Ausflug ein Flopp war, aber der Renner war es auch nicht. Die einstündige Fahrt dorthin, die verschiedene Ausblicke auf den Vulkan ermöglichte und das kleine Museum war noch ganz nett. Den im Reiseführer gelobte Kunsthandwerkermarkt, sowie die nach Mapuche-rezepten zubereitete Kleinigkeiten, gab es nicht wegen Renovierung oder Nebensaison oder beides. Also machte ich mich nach einer Stunde Aufenthalt bereits wieder auf den Rückweg; diesmal im mit Schülern überfüllten Bus. 18 Uhr bin ich wieder in Pucon und kriege bei TravelAid ich überraschend einfach organisiert, dass mir meine auf der Evangelistas liegengelassene Brille nach Santiago geschickt wird. Fantastisch! Ich hatte sie schon abgeschrieben, wollte es aber zumindest versucht haben. Ok, vielleicht lag es daran, dass der Betreiber von TravelAid ein vor einigen Jahren ausgewanderer Schweizer ist. Supermarkt, Geldholen, dann Spaziergang zum schwarzen Strand, wo ich bisher noch nicht war. 19:30 Uhr leihen wir gegenüber meines Hostels bei Summit Chile - Ausrüstung und buchen den Transfert. Insgesamt zahlen wir so 14.000 statt 55.000. Danach heißt es packen, ich muß die Tourenhose aus den Tiefen meines Rucksacks hervorzaubern und einigermaßen schlau packen, weil ich ja morgen früh das Zimmer räumen muss, aber abends noch duschen möchte, bevor ich in den Nachtbus nach Santiago steige.

Dienstag, 27. März 2012

Geografie Patagoniens

Ob man es glaubt oder nicht, alles was ich in den ersten knapp sieben Wochen bereist habe, gehört - abgesehen von Buenos Aires - zu Patagonien. Dass sowohl ein Teil Chiles als auch Argentiniens umfasst, war mir schon vor Antritt meiner Reise klar und dass Fitz Roy und Cerro Torre, der Perito Moreno Gletscher und Torres del Paine dazugehören. Aber was Patagonien sonst noch alles umfasst, hat sich mir erst im Laufe meiner Reise erschlossen.
Einen solchen Abendhimmel gibt es nur in Patagonien.Geografisch kann man grob sagen das Festland (Die Insel Feuerland zählt nicht nicht dazu) "südlich des 40. Breitengrades". Sucht man auf einer Karte nach Städten, so kann man die Linie zwischen dem argentinischen Bahia Blanca im Osten und dem chilenischen Puerto Montt ziehen.

Allein der argentinische Teil Patagoniens hat eine Fläche von über 750.000 Quadratkilometer auf der etwa 1,6 Mio. Menschen leben. Es ist also flächenmäßig etwa doppelt so groß wie Deutschland undhat ca. zweimal so viele Einwohner, wie allein in Frankfurt leben. Noch krasser finde ich die Zahlen der zu Patagonien gehörenden argentinischen Provinz Santa Cruz: Mit einer Fläche von knapp 244.000 Quadratkilometer ist sie die zweitgrößte Argentiniens und entspricht etwa der Fläche der Alten Bundesrepublik. Gleichzeitig ist sie aber auch die am dünnsten besiedelte in ganz Argentinien. Gerademal 200.000 Menschen leben dort, also ungefähr genausoviele wie in Mainz oder viermal so viel wie in meiner Heimatstadt Waiblingen. Damit hat - statistisch gesehen - jeder Einwohner mehr als einen Quadratkilometer Platz. Selbst die am dichtesten besiedelte Provinz Nequen bringt es nur auf knapp drei Menschen pro Quadratkilometer. Dagegen ist es in Meckpomm und Brandenburg mit seinen 76 bzw. 88 Einwohnern pro Quadratkilometer richtig eng.


Noch eine netter Vergleich, über den ich zuletzt gestolpert bin und der diese unendliche Größe etwas besser vorstellbar macht, bezieht sich auf die argentinischen Ruta National 40: Eine Strecke von Portugal bis zum Ural, immer auf der selben Strasse, ohne Grenzkontrollen und ganz ohne Sprachengewirr, angeblich sogar ohne Ampeln. Die längste Strasse der Welt ist mit ihren knapp 5000km deutlich länger als die legendäre Route 66 in den USA. Noch immer habe ich Spass an den Busfahrten, gerade heute (von Valparaiso über die Anden am Aconcagua vorbei Richtung Mendoza) fand ich es wieder sehr spannend.

Montag, 26. März 2012

Cochamo - Yosemite Südamerikas

Fr. 9.3. Anreise - ein verrückter Tag mit abenteuerlichem Ritt

Um 8 Uhr gehen wir in Puerto Montt von Bord. Am Busterminal kaufe ich mir für 11:30 Uhr ein Busticket nach Cochamo gekauft. Ich geb den Rucksack bei der Gepäckaufbewahrung ab, um die ca. 2 Std. Wartezeit im nahegelegenen Zentrum zu verbringen. Aus Sorge darüber nicht dort zu landen, wo ich eigentlich hinwill, getraue ich mich nicht in einen der Collectivos (Minibusse) einzusteigen, sondern laufe die 10 Minuten dem Meer entlang. Wie in meinem Reiseführer beschrieben, gibts hier nicht viel zu sehen. Der zentrale Platz mit der Kathedrale und dem Einwandererdenkmal, sowie die Mole und die (geschlossene) Jesuitenkirche sind schnell besichtigt. Also lass ich mir die dreckigen Schuhe von einem Strassenschuhputzer saubermachen und kaufe mir zwei Empanadas als Mittagessen für den Bus.

Dies ist ein richtiger Local Bus und erstmals erlebe ich, wovon mir eine Freundin vorab schon erzählt hatte: Bis zur Abfahrt, die übrigens sehr pünktlich war, und sogar noch während der ersten paar Kilometer bis zur Stadtgrenze, kamen ständig Verkäufer in den Bus, welche die unterschied-lichsten Dinge feilboten. Obst, Getränke, Kekse, aber auch Stifte-Sets und einer schwang sogar die Gitarre und sang dazu. Obwohl ich sehr müde war, versuchte ich die Augen offen zu halten, um mir die Landschaft anzusehen, die soviel anders war, als was ich bisher auf meiner Reise gesehen hatte. In den Vororten von Puerto Varas und am Ufer des Llanquihue Sees - dem zweitgrößten Sees Chiles - entlang hatten die Häuser sehr gepflegte Gärten mit Hortensienbüschen, Obstbäumen und Pappeln. Vom schneebedeckten Osorno, der eigentlich den Blick auf die andere Seite des Sees bestimmen sollte, ist heute leider nichts zu sehen, weil alles wolkenverhangen ist. Als nach knapp eineinhalb Stunden die Teerstrasse in eine schmale Schotterpiste übergeht, befinden wir uns bereits im kalten Regenwald. Nach über 2,5 Std. - deutlich länger als angegeben - scheine ich mich meinem Zielort zu nähern und setze mich vor zum Busfahrer, denn offizielle Bushaltestellen gibt es hier nicht, man sagt, wo man rausgelassen werden möchte. Beschrieben ist 1km hinter der Polizeistation. Als diese auftaucht, geht alles sehr schnell, denn ich kriege mit, dass sich Einer nach dem Weg ins Cochamo-Tal erkundigt bevor er aussteigt. Kurzentschlossen hüpfe ich ebenfalls aus dem Bus. Ja, er ist tatsächlich Kletterer und lädt jede Menge Zeug aus dem Bus aus. Sein Name ist Jaro(slav), er kommt aus Slowakien und ist Anfang 30. Er schlägt sofort vor, daß wir uns das "Taxi" bis zum Ende der Straße teilen können. Er will wenn irgend möglich heute noch hoch zum Camp; ich erzähle ihm, dass ich das sogenannte Taxi-Pferd für morgen reserviert habe. Da er etwa 70kg Equipment und hauptsächlich Verpflegung für vier Wochen hat, braucht er definitiv ein Packpferd, er selbst möchte laufen. Also begeben wir uns - nachdem wir unsere Sachen an der Polizeitstation deponiert haben - auf die Suche nach den richtigen Leuten. Zum Glück spricht Jaro gut spanisch, so dass ich mich in die Zuhörerposition begebe. Wir werden von Pontius zu Pilatus geschickt, mehrfach darauf verwiesen, dass so spät keiner mehr losgeht und werden mit dem Vaquero (der lat.am. Cowboy) Lucho schließlich fündig. In dessen Wohnstube verhandelt Jaro so hart, dass es mir schon fast peinlich ist. Er vereinbart 60.000 statt der zuerst genannten 75.000 chil. Pesos, was jedoch immer noch zu viel war, wie wir einige Tage im Refugio erfahren sollten.


Während Lucho noch schnell was isst und seine Sachen zusammen packt, warten wir am Polizeiposten auf das Taxi. Taxi nicht im herkömmlichen Sinne, sondern jeder, der im Dorf ein Fahrzeug besitzt - und das sind nur sehr wenige - stellt dieses für bezahlten Fahrservice gerne zur Verfügung. Dann müssen erst noch die Pferde gerichtet werden bevor wir zum sogenannten Trailhead losreiten, wo Jaro mit dem ganzen Gepäck wartet. Weil die Flut das Wasser weit den Fluss heraufdrückt, müssen wir ihn weiter oben queren. Aber auch dort stehen die Pferde bis zum Bauch im Wasser. Bis die Lasten gleichmäßig verteilt und fest am Packpferd Namens Lluvia (bedeutet Regen) verzurrt sind, ist es bereits halb sechs als wir endgültig starten. Schon jetzt ist klar, dass wir während unseres Ritts irgendwann in die Dunkelheit kommen würden.

Die ursprüngliche Idee mich gleich nach der Busfahrt für ein Schläfchen hinzulegen sobald ich ein Hostalbett in Cochamo habe, war übrigens schnell vergessen. Anstelle dessen trat das Staunen über den Urwald rings um mich herum und die Vorfreude auf "La Junta" - der zentrale Ort im Cochamo-Tal, der von Granitwänden umgeben ist. Weil die Pferde den Weg gut kennen und im Zweifelsfall lieber selbst entscheiden, an welcher Stelle genau sie eine der vielen schwierigen Passagen überwinden, gibt es eh nicht viel zu "lenken", so dass ich mich in aller Ruhe umschauen konnte. Es war spannend zu beobachten, wie sich der Bewuchs ändert je höher wir kommen. Und sogar einen Kolibri konnte ich entdecken. Der Weg wird immer abenteuerlicher. Er wird schon ewig dazu benutzt Vieh ins Tal zu treiben. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Hufe der Tiere immer tiefer in den weichen Boden gegraben und es sind tiefe Gräben entstanden. Zum Teil habe ich die Kante des Waldbodens auf Augenhöhe - man erinnere sich, ich sitze auf einem Pferd. Den zweiten Abenteuerfaktor bieten die immer größer und tiefer werdenden Matschlöcher. Ich frage mich ernsthaft und nicht ganz ohne Grauen, wie ich hier jemals zu Fuß wieder ins Tal kommen soll, ohne irgendwo knietief im Schlamm stecken zu bleiben. Unter dem dichten Blätterdach wird es noch etwas früher dunkel als sonst. Eine volle Stunde reiten wir im Dunkeln. Zum Glück haben die Pferde auch nachts sein gutes Sehvermögen. Ich vertraue also meinem vierbeinigen Gefährten, der genausowenig hat Lust wie ich hinzufallen. Ich höre nurnoch, dass mein Pferd mehr durch Matsch und Wasser läuft als über festen Boden und ich mach mir Sorgen um meinen Abstieg. Kurz vor halb zehn erreichen wir den Zeltplatz und bauen Jaro's kleines Zelt schonmal auf. Nicht viel später kommt auch er an. Wir kochen noch ein paar Nudeln mit Soße aus einer Spargel-Tütensuppe. Bis wir uns im Schlafsack liegend sortiert haben und die Augen zu machen, ist es halb eins. Ein langer Tag, an dem ich allerdings viel weiter gekommen bin, als ursprünglich geplant.

Sa. 10.3. Sportklettern und Wasserrutsche
Ich hab wirklich gut geschlafen und gegen Morgen sogar irgendwann die lange Unterhose ausgezogen, weil es überhaupt nicht kalt war. Jaro öffnete bei Tagesanbruch sogar das Fliegengitter um frische Morgenluft reinzulassen. Viertel nach neun hatte ich ausgeschlafen, außerdem lachte draußen die Sonne. Es zog mich raus, ich wollte doch endlich sehen, wo ich gestern Abend in der Dunkelheit gelandet war. Wow!! Eine herrliche Wiesenlichtung auf der ein paar Kühe und Pferde zwischen den Zelten grasen. Das Ganze inmitten des kalten Regenwaldes durch den ich gestern gekommen war und umgeben von absolut beeindruckenden Granitwände.

In der Küchenhütte bereitete ich mir die letzte Ration Müsli mit Milchpulver zu, die von unserem Trekking übriggeblieben war. Ebenso war ich froh, dass ich die Gaskatusche mitgenommen hatte, die wir am letzten Trekkingtag angebrochen hatten. Was ich morgen frühstücke... mal sehen. Erstmal lass ich mir's schmecken. Es war wirklich sehr nett, dass mich Jaro in der ersten Nacht in seinem kleinen Zelt hat schlafen lassen, aber ich will ihm diese Enge nicht länger zumunten. Außerdem mußte das Gepäck draußen bleiben, was kommende Nacht nicht geht, weil es regnen soll. Wir konnten es zwar dankenswerterweise unter Claudios Plane unterstellen, aber das ist ja kein Zustand auch nicht für ein paar Tage. Ich möchte die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht ausnutzen. Trotzdem würde ich natürlich lieber auf dem Campingplatz bleiben, denn hier spielt die Musik oder vielmehr hier spielt sich das Klettererleben ab.

Claudio - der Local von Osorno - schlägt vor, dass ich mich zum Klettern anschließen kann. Cool! Climbing Cochamo! Ich freu mich drauf! Außerdem lädt er mich ein in seinem Zelt zu schlafen, welches groß genug ist und sogar zwei Eingänge hat. Ich bin sehr erleichtert, denn dieses "Übernachtungsproblem" hatte mich schon den ganzen Vormittag beschäftigt. Also trage ich meine Isomatte und Schlafsack rüber zu Claudio's schön eingerichteten Plätzchen und räume anschließend noch bischen meine Sachen hin und her, um den kleinen Rucksack fürs Klettern leer zu kriegen bzw. zu packen. Jaro hat sich einen neuen Platz in den Bäumen gesucht und das Zelt, was der Vaquero Lucho und ich provisorisch irgendwo auf der Wiese aufgestellt hatten, umgezogen.

Irgendwann sind wir alle soweit und brechen zum Klettern auf. Der nur knapp 30 minütige Zustieg zum Sportklettergebiet "La Luna" geht erst über den Fluss (Details s. weiter unten), dann diesem entlang und schließlich mitten durch den Regenwald; manchmal ist nicht einmal mehr ein Pfad erkennbar. Doch plötzlich stehen wir vor der Wand, die für mich überall sehr schwer aussieht. Am ganz linken Rand sind zwei Linien, die machbar aussehen, aber keine Haken haben. Ich bilde mit Claudio eine Seilschaft und Jaro und Dan aus den USA die andere. Wir klettern, d.h. ich nur im toprope drei Routen zwischen 5.9 und 5.10c, was übersetzt ungefähr 5 bis 6a+ ist. Die Sonne brennt volle Lotte auf den dunklen Fels und es wird bald sehr heiß. Claudio möchte unbedingt zur Wasserrutsche gehen solange die Sonne noch in den Fluss scheint, um sich nach dem erfrischenden Bad aufwärmen zu können. Da die übrigen Routen schwer oder vielmehr für mich nicht machbar aussehen, tu ich mich nicht schwer dem Felsen den Rücken zu kehren. Außerdem bin ich sehr neugierig darauf diese Wasserrutsche kennenzulernen von der ich mir auf YouTube bereits Videos angeschaut hatte. Es ist keine 10 Min. vom Camp entfernt, aber wir müssen durch einen eiskalten kleinen Fluss waten, um dorthin zu kommen. Der Fluss in dem die Rutsche endet ist ebenso kalt, aber es ist ein herrliches Fleckchen Erde: Der Wasserfall ergießt sich in ein türkisfarbenes Becken.

So. 11.3. Regentag in Cochamo
Tja, was könnte man besseres machen als... richtig: Ausschlafen! Und zwar endlich mal wieder richtig ausgiebig, was ja auf dem Schiff nicht möglich war. 11:30 Uhr haben wir uns dann doch mal in die Senkrechte bemüht. Für das Frühstück tausche ich sozusagen Klopapier - Claudio hat hier offenbar einen Engpass - gegen ein paar Haferflocken; mein Frühstück ist gesichert, denn Milchpulver habe ich ja noch. Außerdem übernehme ich den Abwasch, während Claudio zum Refugio rübergeht.

13:30 Uhr setz ich mich in die "Favella" - ein großes Dach aus Plastikplane, welche das Zelt und den Platz davor trocken hält - und schreibe. Zwischendurch kommt Jaro vorbei, weil er was klettern will. Aber für heute ist es zu spät um zum Parete Seca - ein überhängender Sportkletterfelsen, der auch bei Regen trocken bleibt - zu gehen. Am späten Nachmittag ging ich allein mit der Tirolesa (Seilbahn) über den Fluss und rüber zum Refugio, um dort die anderen zu treffen. Dort einige nette Stunden gemütliches Abhängen und intensive Klettergespräche. Ein Chilene war mit italienischen Freunden und deren Freunde in den Dolomiten klettern. Sergio Martini war einer davon, wie sich erst später rausstellte, weil er offenbar ein sehr ruhiger zurückhaltender Mensch ist. Er hatte im Jahr 2000 mit 50 Jahren ohne große Publicity seinen letzten der 14 8.000er bestiegen und nimmt damit Platz 7 in der 29 Menschen umfassenden Rangliste ein.


Außerdem sitzt Alex Honnold - der US-amerikanische Spitzenkletterer, der durch seine Free-Solo- und Speedbegehungen bekannt wurde - am Nachbartisch. Als "Revanche" für Clauidos leckeres Abendessen gestern und Jaro's spontaner Übernachtungseinladung am ersten Abend, lade ich heute im Refugio zu selbstgemachter, leckerer Pizza und Bier ein. Bevor es dunkel wird, treten wir zusammen mit Nils aus Deutschland, der derzeit in Temuco/Chile lebt, den Rückweg über die Tirolesa zum Campingplatz an.



Mo. 12.3. Wasserfall-Rundweg und Pared Seca


Noch ein Regentag an dem wir nichts machen, kommt nicht in die Tüte. Bis wir uns besprochen und entschieden haben, ist es bereits kurz vor zwölf als wir aufbrechen, um Wasserfall-Rundweg in Angriff zu nehmen. Wir, das sind der Schweizer Alesandro, eine US-Amerikanerin, Claudio und ich. Wir haben Glück, denn wir sind noch keine halbe Stunde unterwegs, da hört es auf zu Regnen. Trotzdem ist Alles inklusive der Luft weiterhin sehr sehr feucht und so führt uns der Weg mitten durch unberührten Regen- bzw. Nebelwald. Die Bäume tragen Bärte aus Flechten, dazwischen wachsen Bambus, Farne und Moose. Der Pfad führt teils über nasses rutschiges Laub vom letzten Herbst, teils durch Schlamm und Matsch. Dazwischen hat es immer wieder Wurzelwerk, das als Fußschlinge "fungiert", wenn man nicht acht gibt. Allein schon der Weg durch den ursprünglichen Wald war ein Erlebnis, aber die drei beeindruckenden Wasserfälle, an denen wir vorbei kamen, waren natürlich die Highlights.


Knappe drei Stunden später erreichten wir wieder das Refugio. Nach einer kurzen Pause machten sich Alesandro und ich zum Pared Seca auf. Das ist ein Sportkletterfelsen, welcher dank seiner höhlenartigen Überhangs auch bei Regen trocken und somit kletterbar bleibt. Da wir ohnehin am Campingplatz vorbei kamen, packte ich einfach mal meinen Klettergurt und -schuhe ein. Nach guten 20 Minuten sehr schlammigen Zustiegs erreichten wir das trockene Plätzchen an dem sich bereits alle übrigen Kletterer vergnügten. Ich entdeckte genau eine Route, die für meine Kletterkünste machbar erschien: eine schöne, überhängende, aber henkelige Linie, die dann auch tatsächlich aus dem Stehgreif geklappt hat.

Di. 13.3. Wanderung auf den Arco Iris (ca. 1700m)
Eigentlich wollte ich heute einigermaßen früh los. Aber erstens war es im Schlafsack viel zu gemütlich, um aufzustehen und zweitens verabschiedete ich mich dann noch von Claudio, der für zwei Tage aufbrach, um das Einrichten seiner Route zu Vollenden. Also war es bereits 10:20 Uhr als ich loskam (350m). Der Waldboden dampft überall dort, wo es die Strahlen der Morgensonne durch das dichte Blätterdach hindurch geschafft haben. Es geht wirklich sehr steil nach oben. Die Wegbeschaffenheit ist vergleichbar mit der von gestern.


Nach knapp eineinhalb Stunden lichtet sich erstmals der Wald, weil ich am Rande einer glatten, Granitschräge stehe. Der Blick hinunter ins Tal und hinüber auf die die Wände "Trinidad" und "Amphitheatro" ist faszinierend. Aber noch viel beeindruckender war, als ich im nächsten Moment zwei Kondore entdecke. Zunächst ziehen sie unter mir ihre Kreise, so das ich gut die typische weiße Färbung auf der Oberseite der Schwingen erkennen kann. Nach kürzester Zeit hat sie die Thermik auf meine Höhe gehoben und ich erkenne gut die markante weiße Halskrause. Nach wenigen Minuten sind diese Riesenvögel, deren Spannweite sogar drei Meter übertreffen kann, nurnoch ein kleiner Punkt am Himmel hoch über meinem Kopf.


Die beiden nicht unkritischen seilgesicherten Passagen bewältige ich nicht ohne Respekt. Dies als "Hikingtour" zu titulieren find ich echt gewagt und bin heilfroh, dass ich Klettere und mit "auf Reibung stehen" etwas anzufangen weiß. Nach zweieinhalb Stunden (12:50Uhr) trete ich aus dem Wald und habe den ersten Aussichtspunkt erreicht. Als ich da so sitze, den von Claudio am Vorabend zuviel gekochten Reis mit Tofu und Mais löffle und den gigantischen Ausblick auf die gegenüberliegenden Granitwände genieße, kommt Mono - der Mitarbeiter vom Rifugio - mit seinen beiden Gästen.

Nach einer weiteren Stunde Gehzeit erreiche ich um 14 Uhr den zweiten Aussichtspunkte, der für den Normalwanderer als Gipfel zählt. Von hier hat man einen wunderbaren Ausblick auf zwei kleine Seen und im Westen das gesamte Cochamo-Tal bis vor zur Brücke und sogar bis zum Raconclavi-Fjord, in welchen der Cochamo-Fluss mündet. Im Nordosten beeindruckt eigentlich der Vulkan Osorno mit seiner ebenmäßigen, weißen Pyramidenfrom. Heute lugt nur kurz mal der Gipfel oben aus den Wolken. Dafür sieht man im Osten das stark vergletscherte Massiv des 3554m hohen Tronadors.

Der dritte und letzte Teil auf den tatsächlichen Gipfel mit einer Höhen von ca. 1700m erfordert etwas Kraxelei, Orientierungs-vermögen und Gespür für die Schwachstelle des Berges. Da es schon fast vier Uhr ist und ich ja noch den gesamten Abstieg vor mir habe, mache ich nur kurz ein Foto und trete dann den Rückweg an. Zum Glück geht's runter i.d.R. immer deutlich schneller als rauf, so dass ich gegen 19 Uhr etwas geschafft (waren immerhin über 1300 Höhenmeter) aber sehr zufrieden über diesen gelungenen Tag den Campingplatz.

Mi. 14.3. Vollbepackter Abstieg und nach Puerto Varas
Aufgrund der Tatsache, dass ich auf dem Weg ins Tal keinen Zwischenstop in einem Hostel hatte und somit auch keine Gelegenheit, den Rucksack etwas zu entschlacken und ein paar Sachen im Hostal zu deponieren, mußte ich nun auf dem Weg aus dem Tal heraus alles, aber auch wirklich alles schleppen. Ich kann es nicht anders sagen, es war eine mords anstrengende Buckelei. Außerdem saß mir ein klein wenig die Zeit im Nacken, weil ich den Bus um 13:30 Uhr erwischen wollte. Dafür waren Schlamm- und Wasserlöcher nicht so schlimm wie befürchtet. Meistens fand sich an den schlimmsten Stellen irgendwo seitlich daneben ein Ausweichpfad durch den Wald. 12:20 Uhr erreichte ich den Trailhead. Nils, der mich zwei Stunden zuvor überholt hatte, hatte in der Zwischenzeit den Pickup ins Dorf organisiert.

Dort angekommen stürzten wir uns auf die nächstbesten und trotzdem super leckeren, hausgemachten Empanadas. Mit Blick aufs Meer warten wir auf den Bus, der uns gegen 14 Uhr einsammelt und mich ca. 16:30 Uhr in Pt. Varas absetzt. Dort setze ich mich erstmal stinkig und dreckig wie ich war in ein nettes Strassencafe mit Seeblick und verdrückt ein Eis und schlürfte lecker Cafe dazu.

Einen der schönen Vulkane in der Gegend wollte ich besteigen. Die bis dahin für mich immernoch offene Frage, ob den Osorno oder den Villarica wurde mir dann bei der Touristen-Info abgenommen. Der Tour-Guide bei dem wir anrufen verweist darauf, dass Conaf - die Nationalparkbehörde - derzeit keinen auf den Osorno läßt. Wohl eher generell, weil gerade keine Saison ist, als wegen irgendwelcher besonderen Gefahren. Mal ganz abgesehen davon wäre es mir wahrscheinlich eh zu teuer gewesen. In meinem Reiseführer stand noch was von €180,-, der aktuell erfragte Preis lag jedoch bei knapp €300,-. Dann besteig ich eben den Villarica - vielleicht geht der ja ganz ohne Führerwäre mir das liebste.

Montag, 19. März 2012

Abenteuer Nebenstrecke geglückt

Um die wenigen Ausflügler, die es um diese Jahreszeit eventuell noch gibt abzupassen, bin ich schon viertel vor neun am Hostel losgewackelt. Um zur Regionalstrasse Nr. 48 zu gelangen, die zum Hua-Hum-Pass führt, mußte ich bis zum Rand des kopierten Stadtplans laufen. Was auf dem Papier recht nah aussah und vom Hostelmitarbeiter mit 20-30 Minuten angegeben wurde, dauerte - vollbepackt wie ich war - eine volle Stunde und das z.T. steil bergan. Bereits zwischen den letzten Häusern des Ortes hielt ich im Gehen den "dedo" (Daumen, bedeutet trampen) raus. 200m vor Erreichen der besagten Regionalstrasse sammelte mich der Organisator eines Mountainbikerennens ein und nahm mich ca. 2km mit. So früh am Vormittag war mir jeder Kilometer recht. Außerdem hätte ich vom nahen Startpunkt des Rennens gute Chancen mit den pendelnden Fahrzeugen wieder runter in den Ort zu kommen, um Plan B (normaler Bus) zu realisieren, falls ich keine Mitfahrgelegenheit zur Grenze finden sollte.

Schon nach einer dreiviertel Stunde wurde ich vom fünften Auto mitgenommen; die anderen waren voll oder hatten signalisiert, dass sie nicht weit fahren. Mein "Fahrer" ist Waldarbeiter und lebt 3km von der argentinischen Grenzstation Hua-Hum entfernt. Nur am Wochenende holpert er mit seinem alten Normal-PKW über die 50km Schotterpiste, die am Nordufer des langezogenen Lago Lacar entlangführt, nach San Martin und zurück - mein Glück. Um halb zwölf werde ich direkt am argentinischen Genzposten abgesetzt und freue mich die vermeintlich größte Herausforderung des Tages gemeistert zu haben. Lediglich ein Grenzer - ein Bübchen Anfang 20 - bewacht die "Frontera Inernational". Den Ausreisestempel würde ich mir natürlich erst geben lassen, wenn ich eine Möglichkeit zur Weiterreise gefunden hätte. Jetzt quatsche ich erstmal eine Runde mit ihm, u.a. über meine Chancen weiter zu kommen. Von Chile nach Argentinien seien es zwischen vier und fünf Autos am Tag, in umgekehrter - also meiner - Richtung seien es ein bis zwei. Nicht gerade üppig wie ich finde, aber im Prinzip reicht mir ja ein Auto - es muss mich nur mitnehmen. Eine weitere Ernüchterung tritt ein, als ich im Gespräch einen Irrtum aufdecke. Aufgrund verschiedener Karten (Reiseführer, Touristeninformation) war ich der Meinung, dass Puerto Pirehueco die chilenische Grenzstation am gleichnamigen See ist. Als Entfernung waren mir 7km genannt worden, so dass ich zur Not bis zur Fähren laufen wollte. Nun stellte sich aber heraus, dass es zwar 7km bis zur chilenischen Grenzstation sind, aber nochmal 7km bis zum See - also definitiv zu viel, um mit zwei Rucksäcken zu Fuß zu gehen. Außerdem erfahre ich, dass die Autos - wenn überhaupt welche kommen - in der Regel zwischen 13:00 und 13:30 Uhr die Grenze passieren, weil ja die Fähre bekanntermaßen erst um 16 Uhr fährt. Tja, damit hatte sich dann auch mein Plan B notfalls mit dem Bus um 14 Uhr zu fahren in Luft aufgelöst. Jetzt hieß es Augen zu und durch.

Gerade wollte ich mich draußen in der Sonne niederlassen, um zumindest Apfel, Kaba und Kekse zu verzehren, bevor sie der strengen chilenischen Grenzkontrolle zum Opfer fallen würden, da kam ein moderner Jeep mit chilenischem Kennzeichen. Ich bin so aufgeregt, dass ich spontan all mein Spanisch vergessen habe. Stammelnd laufe ich hinter den Ehepaar her ins Grenzhäuschen, wo der Grenzer, der ja meine Geschichte schon kennt, für Aufklärung sorgen kann. Er ist bereit mich mitzunehmen, die Frau macht zunächst einen wenig begeisterten Eindruck. Später am Tag, als ich auch wieder in der Lage bin etwas spanisch zu plaudern, ist sie es, die sich ganz rührend z.B. bei der Kioskbetreiberin erkundigt, wie ich auf der anderen Seite des Sees am besten weiterkommen würde.

Ich darf also mitfahren. Zunächst bis zur chilenischen Grenzstation Hua-Hum. Dort geht es wirklich beschaulich zu. Grenzer und Zollkontrolleur müssen erst aus irgendwelchen nahen Häusern herbeigeholt werden. Da ich meine eiserne Reserve an Lebensmitteln (Spagetti, Brot, eine Koservenbüchse mit Streichwurst, Kekse, Schoki und Dörrpflaumen) ungern in vorauseilendem Gehorsam in den Mülleimer werfe, entschließe ich mich diesmal dazu, dem Kontrolleur einfach die gesamte Tüte unter die Nase zu halten. Die Strategie geht auf, nur die Pflaumen wandern in den Müll. Ich hätte nicht gedacht, dass die Wurst auch nur den Hauch einer Chance hat. Absolutes No-Go ist allerdings die Riesenportion Schinken-Käse-Sandwiches, welche das Ehepaar als Verpflegung für den Tag dabei haben, so dass sie mich zu einem Spontan-Picknick einladen.

Mit dem mittlerweile x. chilenischen Einreisestempel geht es weiter nach Puerto Pirehueco, welches aus ein paar Häusern, einem geschlossenen Kiosk und der Anlegestelle besteht. Da es erst 13 Uhr ist, heißt es hier knapp drei Stunden warten. Ich setze mich an den See und lese, später als das Kiosk aufmacht, gibts noch lecker Nescafe. Als die Fähre anlegt und das Ent- und Beladen beginnt, kommt Leben in das Örtchen. Pünktlich 16 Uhr legen wir ab, mit an Bord sind fünf PKWs, ein Sattelschlepper und ein Kamerateam, das für einen regionalen Sender eine Reportage dreht. Sie wollen mich filmen wie ich Fotos mache von dem Urwald an dem wir vorbei schippern. Später muss ich sogar noch für ein kurzes Interview herhalten - in spanisch versteht sich.

Nach eineinhalbstündiger Überfahrt, während der es angefangen hat zu regnen, sind wir in Puerto Fuy. Durch die Autoscheibe entdecke ich sogar einen Bus, in den ein einziger Fahrgast einstieg. Wer weiß, wohin der fährt und wie ich von dort an einem Sonntagabend weiterkomme. Da das Ehepaar vorhat auf direktem Weg die großen, gut ausgebauten Straßen anzusteuern, auf denen ich gute Chancen habe eine Busverbindung zu bekommen, setze ich meine Reise mit ihnen fort. Dann passiert etwas Unerwartetes: an der ersten Kreuzung steht auf einem Schild Villarica via Conaripe und Lican Ray angeschrieben. Die beiden entscheiden sich spontan um und damit für weitere gut 50km Schotter, um mich in Villarica abzusetzen. Was heute Vormittag so zögerlich begann, ist jetzt überaus herzlich. Bei der Weiterfahrt zeigen sie mir voller Begeisterung die chilenische Nationalblume "Copihue" (@Barbara: chilen. Wachsglocke bzw. Lapageria rosea).

Es ist schon dunkel, als sie mich nach acht Uhr in Villarica am Busbahnhof absetzen. Da mein Reiseführer die Stadt als "unansehnlich" beschreibt und ich außerdem gerne mal wieder zwei Nächte im gleichen Bett schlafen will, setze ich meine Reise noch mit dem Bus bis Pucon fort. Nachdem ich für die 250 bis 300km gut zwölf Stunden unterwegs war, erreice ich müde und hunrig, aber glücklich mein Ziel. Als ich dann auch noch in einem sehr netten Hostel ecole!, mit exzellenter, frischer, vollwertiger Küche lande und schließlich in einem guten Bett (keine Selbstverständlichkeit hier) liege, ist mein Tag perfekt! Das Abenteuer, die Anden auf einer Nebenstrecke zu überqueren, ist mehr als geglückt!

Sonntag, 18. März 2012

Bariloche - ein Ort zum Urlaub machen

Bevor ich von Bariloche berichte, erzähl ich noch ein wenig vom Reisen. Ich finde es super spannend, wie sich Orte und Landschaften verändern. Die Gebäude in Pt. Natales und in Pt. Varas beispielsweise sind völlig unterschiedlich. Während in Nateles farbenfroh angemaltes Wellblech DAS Material für Häuserfasaden war, dominierte in Pt. Varas Holz und zwar überwiegend in Form von Schindeln. Auf der Fahrt von Pt. Varas nach Bariloche habe ich die Veränderung der Landschaft als sehr spannend empfunden. Weiden mit Fleckvieh wechselten mit Wald, Obstwiesen mit Apfel- und Kirschbäumen und landwirtschaftlich genutzten Flächen wie z.B. Mais- und Himbeerfelder. Morgens war es noch neblig - es wird langsam Herbst hier - später schön spätsommerlich sonnig.


Nach der chilenischen Grenze ist der Wald wie vertrocknet, was der Hitze des Vulkanausbruchs des Puyehue im Juni 2011 geschuldet ist. Je höher wir kommen, desto mehr Asche und Sand liegt am Strassenrand. Auf der Passhöhe war es am ausgeprägtesten - wie eine Mondlandschaft. Zwei kleine Seen an denen wir vorbeifuhren, waren vollständig mit Asche bedeckt, so dass ich es fast als pflanzenfreie Ebene verkannt hätte. Ich dachte schon, dass es doch ein Fehler war Bariloche anzusteuern, weil man ja davon gehört hatte, aber je tiefer wir kamen, desto grüner der Wald und auch immer weniger Asche.

Innerhalb nur einer weiteren Stunde Fahrzeit ändert sich der Bewuchs komplett. Die Bäume werden kleiner, der Wald lichter, es kommen Kiefern hinzu und immer mehr niedriges Buschwerk. Manches sieht mir aus wie Ginster. Insgesamt ergibt sich ein fast mediteraner Anblick, wenn da nicht der tiefblaue Nahuel Huapi See wäre, der in Strandnähe türkis leuchtet. Die Vegetation wird immer trockener, kurz vor Bariloche ergibt sich ein steppenartiges Bild.

Bariloche ist für mich ein Ort, an dem man sehr gut abhängen und Urlaub machen kann. Es gibt ebensoviele Einkaufs- wie Ausflugsmöglichkeiten z.B. Rafting, Seekajak, Fahrrad und eben Strand. Mir ist es aber mehr nach Reisen, weswegen ich hier etwas die Gegend anschaue und mich dann wieder auf den Weg weiter nach Norden mache. Das Hostel, das ich auf Christians Empfehlung hin gewählt habe, ist aber doch eine Erwähnung wert. Es heißt "Penthouse 1004" und befindet sich in der Wohnung Nr. 04 im obersten Stock eines 10-geschossigen Wohnblocks und bietet somit direkt aus meinem Bett, aber auch von der sehr chilligen Dachterrasse einen tollen Blick über den See und die dahinterliegenden Anden. Wer hier nicht bei Sonnenuntergang mit einem Bier in der Hand sitzt, ist selbst schuld.

Gestern war ich dann faul und habe mir die 900 Höhenmeter Anstieg erkauft statt erwandert. Ich bin also erst mit dem Bus gefahren und dann per Gondel und Sessellift bis auf 1900m auf den Cerro Cathedral. 11:30 Uhr bin ich dann losgelaufen. Die Tour führt stets mit tollen Ausblicken auf den knapp 3500m hohen Vulkan Tronador und auf den See dem Kamm entlang und leitet dann zum Refugio Frey hinab. Dieses liegt auf einer Höhe von 1700m sehr hübsch an einem kleinen Bergsee und ist umgeben von Kletterfelsen. Bis ich 14 Uhr dort ankomme, habe ich richtig Kohldampf und kann es kaum erwarten, dass der Hüttenwirt das frisch gebackene Brot für den bestellten Sandwich aus dem Ofen zieht. 15:30 Uhr trete ich den Abstieg an und bin gute zwei Stunden später wieder an der Bushaltestelle. Skigebiete im Sommer sind was trostloses, insbesondere, wenn man mit deutschsprachigen Jodler-Schnulzen ala "Wir sind die Zillertaler Musikanten" empfangen wird.

Die Tour "Siete Lagos", die an mehr als 7 Seen vorbeiführt, kann man entweder von Bariloche aus als Tagesausflug buchen oder sie - wie ich heute - als Verbindungsetappe nach San Martin de los Andes deutlich preiswerter mit dem normalen Bus bewältigen. Der Laubwald ist von der Vulkanasche des Puyehue etwas verstaubt grau, statt satt grün. Und das Türkis der Seen leuchtet heute aufgrund des bewölkten Himmels nicht. Die Strecke durch den NP Nahuel Huapi und den sich nördlich anschließenden NP Lanin ist trotzdem schön. Es hat was Entspanntes im Bus zu sitzen, aus dem Fenster zu schauen und seinen Gedanken nachzuhängen oder zwischendurch mal ein paar Zeilen im Reiseführer lesen oder etwas auf dem Netbook rumklimpern.

Kurz vor 16 Uhr war ich dann in San Martin de los Andes. Verschiedene Erkundigungen am Busbahnhof nach der Verbindung über den Hua-Hum-Pass nach Chile kommen zu dem selben Ergebnis: dieser Bus fährt nur im Sommer. Alle verweisen mich auf die Standardstrecke auf geteerter Strasse über den Tromenpass, die in 3 Stunden Pucon erreicht. Mir geht es aber nicht ums Ankommen, sondern mich reizt speziell die Variante: erst Strasse bzw. Schotterpiste, dann argentinische Grenzstation, dann gut 1,5 Std. Autofähre über einen ganz schmalen langezogenen See und schließlich auf der chilenischen Seite schauen, wie man von dem winzigen Örtchen Puerto Fuy zum Tourizentrum Pucon kommt. Eine ähnliche weitaus bekanntere, weil total kommerzialisierte und deshalb astronomisch teure Andenquerung gibt es weiter südlich über den Lago Todos Los Santos nach Bariloche. Die Strecke, die ich vorhabe, ist deutlich ursprünglicher, wobei man ihr auch nicht gleich Expeditionscharakter zuweisen muss, denn immerhin ist sie in meinem Reiseführer abgedruckt. Trotzdem wird es jetzt, da die Sommersaison vorüber ist und der Bus nicht fährt ein kleines Abenteuer. Zugegebenermaßen habe ich ein kleines Netz und doppelten Boden: wenn ich morgen Vormittag bei meinem Tramp-Versuch zum Hua-Hum-Pass nicht mitgenommen werde, fährt 14 Uhr der Bus über die Standardroute. Zum Glück ist Sonntag, denn an allen anderen Tagen fährt der Bus schon morgens um 6 Uhr, da hätte ich keine Chance auf Plan B.

Mit Mareike und Björn, die ich beim Einchecken ins Hostal wieder getroffen hatte, verabrede ich mich für später auf ein Bier. In einem einfachen Schnellrestaurant gehe ich eine Melanesa essen. Die beiden kommen dazu und wir quatschen beim Bier, was wir seit Pt. Natales jeweils so erlebt haben.

Die Kletterfreaks, die eventuell schon gespannt auf den Bericht aus dem Cochamo-Tal warten, müssen sich noch ein wenig gedulden. Im Dschungel war ich nämlich irgendwie etwas schreibfaul; aber wird nachgereicht - versprochen.

Donnerstag, 15. März 2012

Per Schiff durch die Fjorde und Kanäle Patagoniens

An Bord:
Es ist schon fast Mitternacht als es eine kleine Ansprache von unserem Animateur und Ansprechpartner-für-alles gibt. Danach geht es im Gänsemarsch zur "Evangelistas" - ein Cargoschiff, welches 2001 für die Aufnahme von Passagieren angepasst wurde. Ich dachte erst es sei ein Scherz, dass allerlei 4-beiniges Viehzeug mit an Bord sein würde, aber nein. Ich zählte bestimmt fünfzehn LKW-Auflieger mit Rindern, Schafen und sogar Pferden. Und auch die gesamte Fahrt über sollte es auf dem Hinterdeck stets sehr ländlich vom Laderaum her riechen. Während wir Europäer die Tiere bedauern, weil sie mehrere Tage zuzammengepfercht ausharren müssen, haben die Chilenen dazu eine ganz andere Sicht der Dinge: Sie sagen, diese Tiere haben es gut, denn die Fahrt mit dem Schiff ist der schnellste Transport; nur mit dem LKW sind sie viel länger in dieser misslichen Lage.

Ich bin mit einer Finnin, die viel zu viel redet und einer Französin in einer 4er Kabine, so dass wir das freie Bett zur Ablage nutzen können. Aufgeregt wie ein kleines Kind flitze ich übers Schiff, erkundete die verschiedenen Etagen bis ich mir irgendwann sagte, dafür habe ich noch volle vier Tage Zeit. Auch das Entladen war nicht so spannend bzw. ging außerdem nur schleppend von statten. Bis ich im Bad war und mich im Bett liegend ausreichend über das gelegentliche Muhen aus dem Cargodeck amüsiert hatte, war es schon nach 1:30 Uhr.

Skua-Gletscher und Delfine:
Meinen Wecker hatte ich auf 7 Uhr gestellt, weil wir - pünktliches Ablegen um 5 Uhr vorausgesetzt - um diese Zeit die Estrecho de Kirk durchfahren sollten. Die engste Stelle der gesamten Reise ist nur 80m Breite. Das Schiff hat 23m und eine Länge von 123m. Als es klingelt, tuckert das Schiff so ruhig vor sich hin, daß ich meinte wir befänden uns bereits in der Langsamfahrt und wären schon mitten in der Meeresenge. Als ich rausflitze war davon nichts zu sehen, dafür sah ich hinter uns gerade noch die Lichter von Puerto Natales. Ein Crew-Mitglied sagte mir, dass wir erst 40 Min. zuvor aus dem Hafen ausgelaufen sind, also über eine Stunde Verspätung haben.

Erst dachte ich: "Ach was, ich bleibe wach und genieße die Aussicht". Aber mit genießen war da nicht viel, denn es war kalt, windig und regnerisch mit entsprechend schlechter Sicht. Also bin ich zumindest zum Weiterdösen doch nochmal bis 8:25 Uhr in die Koje. So satt und ruhig, wie der Kahn auf dem Wasser liegt, kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass das auch mal anders ist und man den Seegang durchaus zu spüren bekommt. Es regnet draußen - ich zieh alles an inkl. Regenhose, Mütze und Handschuhe. Die Meerenge Kirk war schnell passiert. Am beeindruckendsten war die Ströhmung, die sich sichtbar um ein kleines Inselchen herum teilte. Als Entschädigung fürs Nasswerden, gibt es einen Regenbogen.

Nach dem Frühstück bleibe ich gleich für die obligatorische Sicherheitsunterweisung sitzen. Um den restlichen verregneten Vormittag wird der wirklich sehr niedliche Film "Arctic Tail" gezeigt. Nach dem Mittagessen setz ich mich in den Pub und mach eine ausgiebige Reiseführer-Lesesession. Gegen 17 Uhr beginnt die wirklich sehr interessante Gletschervorlesung, die ich mir in spanisch und anschließend in Englisch anhörte. Dann heißt es auch schon wetterfest anziehen, um den Skua-Gletscher zu bestaunen, der hier ins Meer fließt und seinen Ursprung im südlichen Patagonischen Eisfeld hat. Bei der Annäherungsfahrt sehen wir dreimal jeweils zwei Delfine, die ihre Rücken zeigend aufs Boot zuschwammen. Unser Cargoschiff ist wegen dieser Besichtigung extra in diesen Fjord und bis an dessen Ende eingefahren; ich finde das ein tolles Konzept.

Regentag mit Indoor-Programm:
Da es hieß, wir würden 6 Uhr in Puerto Eden anlegen bzw. ankern, ging ich 7 Uhr kurz raus. Es war noch dunkel und regnete, außerdem fuhren wir noch und von Eden war weit und breit nix zu sehen. Also weiterschlafen. Kurz nach 8 Uhr wurde dann Puerto Eden per Lautsprecher durchgesagt. Also hüpfte ich aus dem Bett, um noch vor dem Frühstück ein paar Fotos zu schießen. Der Ort, welcher nur aus ein paar bunten Häusern besteht, liegt auf einer Insel und die Versorgung erfolgt zweimal pro Woche ausschließlich durch das Navimag-Schiff. Dementsprechend ist es DAS Ereignis und jeder der irgendetwas erwartet, kommt persönlich per Boot an die offene Ladeluke getuckert und nimmt sein Paket in Empfang. Die Carabineros de Chile überwachen das Geschehen - natürlich ebenfalls vom Boot aus. Das Wetter war zu diesem Zeitpunkt gerade noch ok, den restlichen Tag sollte es total verhangen und meist sogar regnerisch sein. Weil es wetterbedingt nichts zu sehen gab, war ich den ganzen Tag über nicht mehr nennenswert draußen. An die Quasselrunde beim Frühstück schließt sich "Der Marsch der Pinguine" an - ein sehr süßer aber auch überaus lehrreicher Film über das Leben der Königspinguine.



Nach dem Mittagessen mach ich ein ausgedehntes Mittagschläfchen. Und um 16 Uhr setze ich mich in die sehr interessante Vorlesung über die Fauna. Sie wurde in Spanisch gehalten, Verstehen klappt also schon ganz gut, aber beim Reden fehlt weiterhin die Übung. Am späten Nachmittag fuhren wir an einem Wrack vorbei, was damals offenbar absichtlich auf den einzigen großen unter Wasser befindlichen Felsen gesteuert worden war. Danach hab ich die Brücke besichtigt und geschaut, dass Kapitän und Offiziere ordentlich arbeiten.

Ausserdem habe ich versucht die Wellen, die ab und an gegen den Bug klatschen zu fotografieren. Das klappte aber nur, wenn sich das Schiff zuvor mit zwei drei Wellen richtig aufgeschaukelt hatte und dann der Bug beim Abtauchen gegen die nächste heranrollende Welle schlug. Der Animateuer, dessen Großeltern aus Deutschland ausgewandert waren und der sogar seine Kinder hat deuschsprachig aufwachsen lassen, zeigte uns auf seinem Laptop ein kurzes Video, die die Sessel im Pub bei ca. 4m hohen Wellen kreuz und quer durch den Raum rutschen. Unvorstellbar, wie es bei 7m hohen Wellen zugeht und angeblich wird erst bei Wellen von über 10m nicht mehr gefahren. Als ich etwas später oben im Pub las bzw. Karte studierte, kam die Durchsage, dass wir in einer Stunde in den Golf de Pena einfahren und wer eine Pille gegen Seekrankheit nehmen möchte, dies jetzt tun sollte. Obwohl nur Wellen von 2 bis 2,5 Meter erwartet wurden - also für hiesige Verhältnisse absolut nichts - zögerte ich nicht und kaufte mir eine. Und tatsächlich gab es etwas Seegang. Vor und beim Essen um 19:30 Uhr war mir dann ungefähr eine Stunde lang nicht so gut. Und ich dachte schon, dass ich heute früh ins Bett gehe, weil das Mittel ja auch müde macht. Aber dann bin ich beim Lesen im Pub doch wieder munter geworden und bis ich dann ins Bett bin, war es sogar 0:30 Uhr.

Ein Tag wie aus dem Bilderbuch:


Heute bin ich erstmals nicht früh aufgestanden, d.h. bis 8:30 Uhr geschlafen und "prompt" hatte ich den Sonnenaufgang bei schönem Wetter nur knapp verpasst. Schade! Ich war heute den ganzen Tag nur draussen. Zuerst um Fotos zu machen, wie das Morgenlicht sich verändert und der Nebel wabert. Toll, wie die Landschaft im Zeitlupentempo vorbei zieht. Wir fahren am Vulkan Maku vorbei und später an einem zweiten mit einem interessanten Doppelgipfel. Außerdem war "Draußen sitzen und Reiseführerlesen" heute mein Tagesprogramm unterbrochen nur vom Mittagessen. Nachmittags habe ich sogar 4-5x hintereinander die Wasserfontäne eines Wals gesehen und zweimal hat er uns seinen Rücken samt Flosse gezeigt.

Abends fährt das Schiff genau nach Nord, sodass die Sonne backbord untergeht. Es ist ein toller, farbintensiver Sonnenuntergang. Die Auslöser der Kameras klicken nur so, denn jede Minute sieht es wieder anders aus. Insbesondere die verschiedenen Wolkenstrukturen drumherum machen es so interessant. Just in dem Moment als die Sonne im Meer versunken ist, geht exakt auf der gegenüberliegenden Seite, also steuerbord der Vollmond hinter den Bergen auf. Das golden organge leuchtende Wasser im Westen, wir von einem silbern schillernden im Osten abgelöst. Die Szenerie, das Timing, einfach alles so perfekt, dass es eher inszeniert wirkt, als real.

Das Pärchen aus Nordhessen, das in der Nachbarkabine schläft, und ich sind froh, gerade heute Abend mit den ungeraden Kabinennummern zur zweiten Essensschicht zu gehören. Dieser Tag entschädigt doch sehr für die beiden verregneten Vortage. Ohne diesen traumhaft schönen Tag wäre ich wahrscheinlich insgesamt schon etwas enttäuscht gewesen von der Fahrt.



Montag, 5. März 2012

Umrundung des Torres del Paine Massivs - Das Ammenmärchen vom stürmisch regnerischen Patagonien

Alle Lesefaulen seien auf das Fazit am Ende des Beitrags verwiesen, aber ich befürchte es ist unmöglich darin der Vielfältigkeit der Erlebnisse der 7-tägigen Wanderung gerecht zu werden. Ich könnte das Sprichwort zitieren " Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" und "einfach" einige Fotos hochladen, aber selbst die Auswahl wird echt schwierig, denn fast alle sind zeigenswert und nur ein Auszug dessen, was wir mit den eigenen Augen gesehen und am eigenen Leib erlebt haben. Genug der Vorworte, ich fang einfach vorne an:

1. TAG: kleinere Startschwierigkeiten
Die vergangenen Nacht war temperaturmäßig eine gute Einstimmung aufs Campen. Morgens hatte es im Zimmer 13°C. Denn gegen 23Uhr hatte Teresa - das Hausmütterchen dieser Privatunterkunft - den einen kleinen Radiator im Flur ausgemacht und dieses Pappmascheehaus (sogar die Fliessen im Bad sind nur aufgemalt) mit Einfachverglasung war ruckzuck ausgekühlt. Wider erwarten hatte ich unter der schweren selbstgehäkelten Wolldecke nicht gefroren.

Während der ca. zweistündigen Busfahrt in den Nationalpark Torres del Paine dösen wir nochmal eine Runde und sehen uns mit einem atemberaubenden Panorama konfrontiert, als wir am Parkeingang die Augen aufschlagen. Noch im Bus sitzend bekommen wir von den Parkrangern eine Unterweisung, was wir dürfen und was nicht. Nach der Registrierung und Bezahlung des Parkeintritts marschieren wir los. Eine vermeintliche Abkürzung läßt uns den Abzweig des Weges verpassen, der dem Fluss entlang führt. Nachdem wir nach einer halben Stunde immer noch der staubigen Schotterpiste entlanglaufen, erhärtet sich mein Verdacht, dass wir falsch sind. Da wir keine Lust haben eine weitere Stunde hier zu laufen bis der zweite Weg beginnt, trampen wir und werden glücklicherweise gleich vom ersten Auto (zwei Amis) mitgenommen. Um 11Uhr starten wir am Refugio Torres sozusagen zum zweiten mal. Das mit der Navigation muß besser werden, denn das GPS haben wir bei dieser Runde aus Gewichtsgründen weggelassen. Trotzdem hat mein Rucksack samt Zelt und der kompletten Verpflegung für eine Woche knapp 23kg. Zum Glück wird es jeden Tag weniger. Nach mehreren (Rucksackabsetz)Pausen erreichen wir um 15Uhr das Campamento Seron - eine gute Zeit, um nach Zeltaufbau und Vesper einen ausgedehnten Mittagschlaf zu machen.

Ach ja, fast hätte ich's vergessen. Heute war malwieder supertolles Wetter: stahlblauer Himmel und kein Wind. Laut Internet-Wettervorhersage war das heute der leichte Regentag, aber auch bei der im Concaf-Büro angemalte Prognose war der heutige Tag der "schlechteste" mit bis zu 45km/h Wind. Auch die nächsten drei Tage ist es höchstens mal leicht bewölkt. Allerdings geht es nachts schonmal auf -1°C runter. Brrhh, wo mein Schlafsack doch nur einen Komfortbereich von +1°C hat. Ich bin froh mir noch einen zweite Isomatte gemietet zu haben.

2. TAG: Ein langer Tag! Vom Campamento Seron zum Campamento Perros
Um 5:30 Uhr ging der Wecker. Nachdem es abends beim Licht ausmachen im Zelt 12°C waren, hatte es nachts auf 8°C abgekühlt. Wir wollten garnicht aus dem Schlafsack kriechen. Kurz nach 7 Uhr, noch bevor die Sonne hinter der Hügel hervorkam, gingen wir los. Wir genossen die Morgenfrische und -stimmung in den Auen des Rio Paine. Trotz Fluss ist es - wie auch gestern - eine eher steppenhafte Umgebung. Die große Trockenheit, die hier diesen Sommer herrscht und mitverantwortlich war für den großen Brand im Park, ist ungewöhnlich. Im Gegenzug dazu kam die Atacamawüste - eine der trockensten der Welt - diese Tage mit Schlagzeilen über ungewöhlich starke Regenfälle und infolgedessen Überschwemmungen und weggerissene Häuser in die Nachrichten. Das Klima spielt also auch in Südamerika verrückt.

Das Refugio Dickson am gleichnamigen See an dessen Ende ein gigantischer Gletscher ins Tal fließt, ist wirklich sehr schön gelegen. Wir machen dort fast eineinhalb Stunden Pause. Mit dem Wetter haben wir mal wieder total Glück. Morgens war es noch überwiegend bewölkt, bis zum Mittag zug es immer mehr auf. Hätten wir mehr Zeit, würden wir hier übernachten. Denn bereits das erste Teilstück hatte 19km. Bis zu unserem heutigen Ziel - das Campamento Los Perros - sind es weitere 9km. Hinzu kommen die Höhenmeter: 1000 rauf und 670 runter. Aber ich scheine ideal eingelaufen zu sein, das Rucksackschleppen macht mir heute erstaunlicherweise nicht so viel aus.

Wir machen immer wieder Pausen, genießen den Halbschatten des Waldes in den wir seit dem Refugio Dickson unterwegs sind und futtern Nüsse. Das Highlight dieser Teiletappe ist kurz vor dem Camp der Los Perros Gletscher, der von weit oben bis hinunter in einen kleinen See reicht. Am Ende zieht es sich dann aber doch und wir sind froh als wir um halb sieben endlich das Camp erreicht haben. Nach dem Zeltaufbau wird gekocht und kurz nach 22 Uhr machen wir das Licht aus. Im Zelt hat es nur 8°C - soviel bzw. wenig wie heute früh beim Aufstehen. Diese Nacht wird also kälter.

3. TAG: Der berüchtigte John Grey Pass ohne (starken) Wind
Tatsächlich, morgens um 6 Uhr hatte es gerade mal 2°C im Zelt und draußen 0°C, sodass wir uns reichlich schwer tun, mehr als die Nasenspitze aus dem Schlafsack zu stecken, geschweige denn aufzustehen. Das Schlafen war von der Temperatur her sogar ganz OK. Denn wir hatten unter meinen zwei Isomatten noch einen Rettungsdecke gelegt und ich hatte eine lange Unterhose, Socken und Mütze an und vor allem die Kaputze vom Schlafsack gut zugezogen. Beim Frühstück sitzen wir dicht an dicht, um die Abwärme des anderen zu nutzen und löffeln - wie üblich - aus einem Teller.

Nach zwei Stunden machen wir Pause und ziehen uns die GoreTex-Hose und -jacke an, um das letzte Stück bis zum Pass zu bewältigen. Im Höhersteigen ist es tatsächlich etwas windiger, aber erstens kam er von hinten und schob uns sozusagen den Berg hinauf und zweitens war es lange nicht so heftig wie wir mehrfach gehört hatten. An manchen Tagen bläßt es hier so stark, dass man Umkehren muss oder der Pass sogar gesperrt wird. Nach gut drei Stunden sind wir auf der Passhöhe und haben freien Blick auf die riesige Eisfläche des unter uns liegenden Grey Gletschers. Der Abstieg ist ätzend steil mit teilweise sehr hohen Stufen - die Knie sagen Danke.

Um 14 Uhr erreichen wir endlich das Campamento Paso, das wir zu unserem Mittagspausenziel auserkoren und uns schon lange hergesehnt hatten. Wir finden ein sonniges Plätzchen im Wald, welches den tollen Blick auf den Gletscher freigibt. Den ganz offenen Ausblick entdecken wir erst beim Weitergehen zwei Minuten hinterm Camp. Egal, ich hatte einen Teil der Pause eh verschlafen :-) Dieses Einnicken hatte mir aber offenbar richtig gut getan, denn beim Weitergehen lief es bei mir wieder richtig gut.


Es war fast 18 Uhr als wir das Campamient Guardas erreichten. Erstmals änderten wir unsere Reihenfolge: noch bevor wir das Zelt aufbauten, schnappten wir uns den Kocher und Teebeutel und genießen vorne am Mirador erstmal ein Teechen samt Aussicht. Der Gletscher, welcher direkt unter uns in den Lago Grey mündet, tut uns sogar den Gefallen und läßt ein ordentliches Stück mit Getöse ins Wasser fallen. Später mit dem Abendessen machen wir es ähnlich: Nachdem wir das heiße Wasser in die Globetrotter-Tüten gefüllt haben, schlappen wir damit wieder zum Aussichtspunkt und löffeln dort. Ein unbezahlbares Panorama und trotzdem nur neun Zelte, obwohl das Camp kostenlos ist!


4. TAG: Durch das vom Waldbrand gezeichnete Gebiet
Mit den Handgriffen für das Frühstück und den Zeltabbau sind wir bereits Profis , so dass wir bereits um 8 Uhr starten. Am Refugio Grey scheint ein richtiges Kälteloch zu sein. Es stehen unzählige Zelte dort und alle hatten Raureif drauf. Das Termometer zeigt 1°C, obwohl wir eine Stunde zuvor bereits 5°C hatten. Wir sind also nicht nur wegen der tollen Aussicht froh weiter oben genächtig zu und dafür auf die Dusche verzichtet zu haben. Ab dem Refugio Grey hat der Waldbrand gewütet. Das Gras ist samt Wurzeln abgebrannt, der Boden ist nurnoch Sand und Asche. Von Büschen stehen hier und da noch zwei drei Hauptäste als schwarze Gerippe. Die Bäume sind vermehrt unten am Stamm schwarz und laublos. Aber der nicht mehr vorhandenen Wald hat den Vorteil, dass wir stets einen tollen Blick auf den See haben auf dem ein paar Eisberge schwimmen.

Ach ja, heute sollte es mal wieder regnerisch sein. Wir sahen aber von früh bis spät nur wolkenlosen Himmel. Mit Erreichen des Campamento Italiano erledigt sich die Frage, ob wir unser Zelt hier aufschlagen oder noch die zweieinhalb Stunden bis zum Campamento Britanico aufsteigen, denn letzteres darf derzeit nur als Tagesausflug besucht werden. Dementsprechend ist der Zeltplatz gestopft voll mit über 40 Zelten, wie uns später der Ranger erzählt.

5. TAG: "Luxustag" im Valle del Frances
Weshalb wir darauf kamen, den heutigen Tag als "Luxustag" zu deklarieren, hat gleich mehrere Gründe: unsere Vorräte geben ein letztes Mal Cafe her, wir schlafen aus (naja zumindest im Vergleich zu den Vortagen: 7:30 Uhr), uns steht ein gepäck-freier Ausflug bevor und anschließend eine Etappe von nur 2 Stunden mit Gepäck bis zum nächsten Camp. Außerdem planen wir heute Abend ein Zweigänge-Menü mit Bier vom Refugio und hoffen auf eine warme Dusche. Also wirklich Luxus pur!

Obwohl wir nur gefrühstückt hatten und ohne Zeltabbau los sind, war es fast halb zehn als wir das Camp verließen. Auch bei mir war ziemlich die Luft raus, wie sich im Laufe des Tages zeigen sollte. Leider war es gerade heute bewölkt und wir wußten nicht, ob sich der Aufstieg überhaupt lohnt. Aber unser Timing war perfekt, je höher wir kamen, desto dünner wurde die Wolkendecke und desto größer die blauen Löcher. Gegen 12 Uhr sind wir am Mirador im Talschluß - wow! Die Cuernos (dt.: Hörner), aber auch die gegenüberliegende Seite mit Cathedrale, Castillo und der Cumbre Principal mit ihrer Eishaube... Bis auf letztere alles Granitwände, die ein Klettererherz höher schlagen lassen. Halb zwei treten wir den Abstieg an. Es zieht sich - wir wollen ankommen! Zunächst an unserem Zelt wegen Mittagessen. Aber das ist ja nur die halbe Miete. Es ist schon nach 17 Uhr als wir Richtung Campamento Los Cuernos aufbrechen und es fällt uns schwer.


Erst nach sieben Uhr an Ort und Stelle, das ist spät. Das erste Bier gönnen wir uns während des Zeltaufbaus, das zweite zum Essen. Beim Kochen lernen wir ein nettes Paar kennen, die wir fortan regelmäßig treffen: sie Ecuadorianerin, er aus Bonn. Als uns die beiden erzählen, was sie so an Nahrungsmitteln dabei haben, wissen wir nicht, was überwiegt, der Neid ob des guten Essens oder das Mitleid, was sie alles zu schleppen haben: Gurke, Tomate, Avokado, Zitrone, gekochte Eier, Kartoffeln und beim Frühstück am nächsten morgen zaubern sie noch Honig hervor.

6. TAG: unerwartet kurzer Tag :-)
Nach einer Nacht mit sehr tiefem Schlaf - der Körper verlangt nach Regeneration - wandern wir Punkt 8 Uhr los und genießen die Morgenfrische. Bei unserer ersten Pause essen wir die letzten Nüsse. Überhaupt gehen die Vorräte zur Neige, was auch gut so ist, weil die Rucksäcke allmählich schön "leicht" werden. Als wir an einem Schild "Shortcut to Chileno" vorbei kommen, ist dieser ohne Diskussion unser. Als das Bonn-Ecudor-Paar treffen, wissen diese, dass wir damit eine Stunde sparen. Das "sichert uns" bzw. entspricht dem Weiterweg vom Campamento Chileno zum Campamento Torres. Wir hatten zwischendurch nämlich kurz überlegt heute nur bis zu ersterem zu gehen.

Es ist übrigens mal wieder ein wolkenloser Tag - man vergißt es fast zu erwähnen, obwohl es hier eigentlich etwa besonderes ist. Die Landschaft ist mit der vom Anfang der Runde vergleichbar. Die Dornenkissenbüsche auf die man sich besser nicht niederläßt gehen in eine steppenartige Umgebung über. Kurz bevor wir auf den Hauptweg mit all den Tagesausflüglern treffen, machen wir mit Blick auf das Tal und grasende Wildpferde Mittagspause. Am Refugio Chileno stärken wir uns mit einer Cola für die letzte Stunde Aufstieg, die durch Wald führt. Nachdem wir uns morgens auf 8 Stunden reine Gehzeit - also einen harten Tag - eingestellt hatten, freuten wir uns umso mehr mal wieder früh anzukommen. 16 Uhr endlich mal wieder Mittagschlaf - das hatten wir letztmalig am aller ersten Tag und heute früh noch nicht zu hoffen gewagt, in diesen Genuß zu kommen. Wir wußten noch nicht, ob wir es so lange in der Horizontalen aushalten würden, stellten uns aber den Wecker auf 18 Uhr. Und ob wir "aushalten konnten"! Volle zwei Stunden hatten wir gut geschlafen, obwohl drumrum munter gesprochen und Zelte aufgebaut wurden. Gemütliches wachwerden und aus dem Schlafsack schälen... das hätten wir gerne jeden Tag so gehabt!

Zum Abendessen gibt es Risotto, das laut Verpackung angeblich 3-4 Portionen beinhaltet. Vielleicht Kinderportionen, wir werden jedenfalls nicht wirklich satt. Bei einem kleinen Abendspaziergang treffen wir ein deutsches Pärchen, das auf dem selben Schiff sein wird wie ich. Da sie bis Mitte März bis Lima reisen, werde ich sie bestimmt noch öfters treffen.

7.TAG: Krönender Abschluß: Sonnenaufgang an den Torres del Paine

Um 5:20 Uhr geht der Wecker. Wir laufen gemütlich, um nicht verschwitzt oben anzukommen. Nach einer dreiviertel Stunde Aufstieg stehen wir am Moränenrand und blicken sprachlos auf die Szenerie: im Vordergrund der Gletschersee, im Hintergrund die drei markanten Granittürme nach denen der Nationalpark benannt ist. Mein klamottentechnisches Aufrüsten mit Fleecehose etc. ist eigentlich unnötig, denn es ist weder kalt noch windig.


Wir optimieren unsere Position noch etwas, indem wir runter zum Wasser gehen. Es lohnt sich! Da sich wirklich kein Lüftchen rührt, liegt der See wie eine Spiegelfläche vor uns. Wir kommen aus dem Fotografieren und Staunen garnicht mehr heraus! Die allmählich aufgehende Sonne zaubert immer neue Farben auf die Kulisse und insbesondere das Spiel aus Licht&Schatten(linien) beeindruckte durch seinen ständigen graduellen Wandel. Und ich kann es nicht anders sagen, aber dieses Naturschauspiel versetzte mich in eien andächtige Stimmung.

Weil wir in aller Ruhe den Nachmittagsbus vom Park in die Stadt bekommen wollten, hatten wir bereits am Vorabend definiert um 8:15 Uhr den Abstieg anzutreten. Wer hätte das gedacht, daß wir fast volle zwei Stunden damit zubringen auf ein und denselben Berg zu starren und das dann auch noch als äußerst spannend und kurzweilig zu empfinden!?! Der Abschied fällt schwer, aber wir freuen uns schon drauf ein letztes Mal unser liebgewonnenes morgendliches Ritual zu vollziehen: das gemeinsame Müslischlabbern aus einem Teller. An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir unsere Nahrungsvorräte für die sieben Tage nicht gerade üppig kalkuliert hatten, schließlich mußten wir ja alles mitschleppen. Hunrig sind wie nie ins Zelt gekrochen, aber an dem ein oder anderen Tag hätte es aufgrund der zurückgelegten Distanzen oder Höhenmeter ruhig etwas mehr sein dürfen - auch darin waren wir uns einig. Trotz dieser Knappheit - und das ist da zwei Einzelkinder beteiligt waren das Erstaunliche - kam es nie zu Futterneid oder gar Handgreiflichkeiten ;-)
Kurz vor 9 Uhr sind wir wieder am Camp. Frühstück, Zeltabbau und dann Abstieg. Als wir den gemeinen Gegenanstieg hinter uns haben, lassen wir uns mit Blick auf das Tal für die Mittagspause nieder und vespern das letzte Stück Salami und futtern die letzten Cracker. Noch vor 13 Uhr sind wir an der Hosteria las Torres. Mit Cola und einer Packung Kekse vom Kiosk besiegeln wir die Rückkehr in die Zivilisation und warten auf den Kleinbus, der uns zum Parkeingang bringt. Dort abmelden und in den großen Bus steigen, der uns zurück nach Puerto Natales fährt.

Wer ist im Hostal Dickson im Zimmer gegenüber? Das Bonn-Ecuador-Paar, die übrigens am nächsten Morgen im selben Bus saßen wie Michael. In gewisser Hinsicht ist Südamerika klein. In kürzester Zeit hatten wir unsere Rucksäcke entleert und das Zimmer in Chaos verwandelt. Das heiße Duschen samt flauschigem Froteehandtuch war der Traum! Beim anschließenden Essengehen genossen wir den gedeckten weißen Tisch und das Sich-anlehen-können, statt in gekrümmter Haltung auf einem Stein oder Holz hockend löffeln.


FAZIT:
Diese einwöchige Umrundung des Paine Massivs war in jeglicher Hinsicht intensiv! Nicht nur weil es sehr anstrengend war die 125 km und knapp 5.000 Höhenmeter aus eigener Kraft zu bezwingen. Insbesondere war es das komplette Eintauchen in diese Landschaft, welches nur möglich ist, wenn man sie sich erwandert, statt nur an irgendwelchen Hotspots aus dem Bus zu hüpfen. Auch das Campen hat einen wesentlichen Teil zu diesem intensiven Erleben beigetragen. Dürften wir ein zweites Mal planen, würden wir die Runde allerdings in zehn Tagen machen, statt in nur sieben. Dann wäre mehr Zeit zum genießen und das ein oder andere Durchhalten bliebe einem erspart.

Die unglaubliche Vielfallt dieses Nationalparks hat nie Langeweile aufkommen lassen, selbst wenn die Tagesetappen lang waren. Am eindrucksvollsten waren aber die zahlreichen spektakulären Panoramen, welche wir dem fabelhaften guten Wetter zu verdanken haben. Michael und ich waren uns bis zuletzte unschlüssig, welches Tal uns besser gefallen hat. Das Valle del Frances mit dem "eisherabwerfenden" Hängegletscher im unteren Teil und den faszinierenden Granitwänden am Talschluß oder das Valle Ascencio mit den Torres del Paine bei Sonnenaufgang. Klar ist, dass diese Bilder ewig in meiner Erinnerung bleiben werden und dieses Trekking bestimmt eines meiner Highlights der gesamten Reise bleiben wird.