Ich hatte mich also für die geführte Besteigung eines 6000m-Berges angemeldet…
(Mi. 18.4.) Ich bin um 6:50 Uhr aufgestanden, um noch im Hostel zu Frühstücken, bevor ich per Taxi zur Agentur ging. Ich bezahlte den noch offenen Betrag und meinte eigentlich auch nochmal klargestellt zu haben, dass für jeden Gast ein Guide mitgeht. Dann sind wir per Taxi zum Materialdepot gefahren – ein einfaches Zimmer in dem das Zeugs einfach nur so rumliegt – und haben dort noch die letzten Ausrüstungsgegen-stände ergänzt. Um 9 Uhr ging es mit folgenden Personen los: Bergführer Nelson, Koch Simon und Kunde Klaus, der halb Bolivianer, halb Däne ist. Juancho – Chef der Agentur – steigt nach dem Materialdepot plötzlich nicht mehr mit ein. Als ich nachfragte und reklamierte, sagte er mir ganz schnell Nelson als persönlichen Guide zu. Kurzfristig wurde per Handy Nelsons Bruder als zweiter Guide für Klaus mobilisiert. Nach zwei kleinen Fotostopps erreichen wir um 10:20 Uhr den Zongo Pass.
Am dortigen Refugio ziehen wir uns um (ich nehme doch deren GoreTex- statt meiner Tourenhose) und packen final den Rucksack (schönen warmen Expenditionsschlafsack, warme Fäustlinge und eine lange Unterhose aus Fleece nachdem meine Icebreaker ja leider bei irgendeiner Wäsche verloren gegangen ist). Um 11 Uhr laufen wir auf einer Höhe von 4800m wirklich sehr gemütlich los zum Campo Alto. Ich musste ein klein wenig mehr Schnaufen als gewöhnlich, aber ansonsten ging es mir ausgezeichnet, kein Kopfweh nix. Die auf 5130m Höhe liegende Hütte erreichen wir nach 1 ¾ Stunden. Leider ist es wolkig und die Aussicht reichlich begrenzt.
Nur wenige Minuten nach dem Losgehen hatte ich Mareike getroffen, die leider auf 5600m umkehren musste. Björn, den ich dann in der Hütte traf, wollte morgen einen zweiten Versuch unternehmen. Simon, der voraus gegangen war, stellte super leckere Nudeln mit Sahnesoße und Schinken auf den Tisch. Bereits 13:30 Uhr lag ich im dicken mummelig warmen Expeditions-schlafsack in einem der Stockbetten und gönnte mir ein 1,5 stündiges Erholungs- und Akklimatisations-schläfchen. Dann ausgiebiges Quatschen mit Björn – endlich mal wieder auf Deutsch tut auch mal gut. Bereits um 16:45 Uhr gibt es Abendessen und zwar Forelle; ja tatsächlich auf über 5100m Höhe hat Simon eine super leckere Forelle mit Kartoffelpuree serviert.
Um 18:45 Uhr hab ich die Augen zu gemacht, aber bis ca. 22 Uhr habe ich gar nicht geschlafen, sondern eher gedöst. Allein bis die Füße warm waren, verging etwa eine Stunde, aber selbst dann war es nur ein Ruhen; man ist es einfach nicht gewöhnt mit „Herzklopfen“ einzuschlafen. Nachdem ich dann nochmal kurz vor die Hütte war, um den Tee „wegzubringe“ hab ich bis zum Aufstehen um 0:30 Uhr ganz ordentlich geschlafen. Als ich abends ins Bett bin, hatte es im Refugio 7°C, morgens beim Aufstehen nur noch 4°C.
(Do. 19.4.) Beim Aufstehen habe ich weiterhin kein Kopfweh; Klaus, der andere Gipfelaspirant, fühlt sich etwas matschig. Schauen wir mal wie ich mich weiter oben fühle. Ich habe mich also aus dem wirklich kuschlig warmen Daunenschlafsack heraus und in die – dem Zwiebelprinizip folgenden – Klamotten reingeschält. Das Frühstück bestehend aus Müsli, Marmeladen-Toast und Tee aus Kokablättern schmeckt mir – ein gutes Zeichen was die Höhenverträglichkeit anbelangt. Noch in der Hütte ziehen wir die Steigeisen an und verbinden uns zur Seilschaft.
Um 1:30 Uhr stapfen wir in die dunkle Nacht hinaus und folgen im Schein unserer Stirnlampen der gut sichtbaren Spur. Weil der Huayna Potosi einer der „leichtesten 6000er“ Boliviens und außerdem gut erreichbar ist, wird er das ganze Jahr über regelmäßig bestiegen. Nelson passt sich super meinem sehr langsamen Aufstiegstempo an und betont immer wieder, dass ich in aller Ruhe meinen Rhythmus gehen soll. Die Daunenjacke, die ich zu Beginn an hatte, weil ich auf dieser Höhe und um diese Uhrzeit von kälteren Temperaturen ausgegangen war, zog ich bald aus. Björn, der eine halbe Stunde nach uns gestartet war, überholte uns. In angenehm festem Schnee ging es die sanften Gletscherhänge hinauf. Ungefähr jede Stunde blieben wir stehen und setzten die Rucksäcke ab, um zumindest etwas zu trinken. Im Dunkel der Nacht bietet nur das Lichtermeer der Stadt ein optisches Highlight. Wir kamen an Klaus vorbei, der Probleme mit den geliehenen Plastikschuhen zu haben schien und ich war froh, die 10 Euro extra für einen persönlichen Guide bezahlt zu haben.
Die Höhenmeter auf meiner Uhr werden nur schleichend mehr und ab ungefähr 5700m geht es nochmal langsamer, weil ich für kurze Verschnaufpausen immer wieder stehen bleibe. Einen Stunde vor Sonnenaufgang – bekanntlich die kälteste der ganzen Nacht – zieh ich mir doch noch meine Daunenjacke über. Wenig später erhellt sich allmählich der Horizont im Osten, das Schwarz der Nacht wechselt in ein Grau und erste Konturen werden sichtbar. Wir erkennen die Spur im weißen Schnee auch ohne Stirnlampe. Dafür, dass die Tour als „wenig schwierig“ klassifiziert ist, ist er Gipfelgrat überraschend alpin, d.h. schmal und ausgesetzt und erfordert die volle Aufmerksamkeit für sichere, präzise Schritte.
Punkt 6 Uhr haben wir nach 4,5 stündigem Aufstieg den Gipfel erreicht. Ein perfektes Timing, was den Sonnenaufgang anbelangt. Björn, der bereits vor einer halben Stunde hier ankam, ist schon ziemlich ausgekühlt. Wir machen noch schnell ein gemeinsames Gipfelfoto, bevor er sich auf den Rückweg macht. Ich genieße den Sonnenaufgang und den sich allmählich leerenden Gipfel in vollen Zügen.
Als erstes erstrahlt der sich nach Süden fortsetzende Gipfelgrat im ersten Sonnenlicht. Der in derselben Richtung liegende Illimani ragt mit 6439m in den bolivianischen Himmel und ist selbst aus der Ferne ein immens beeindruckendes mehrgipfliges Bergmassiv. Im Westen fasziniert mich der riesige, mit aufsteigender Sonne allmählich schrumpfende, Bergschatten des Huayna Potosis an dessen höchstem Punkt wir stehen. Am interessantesten ist aber der Blick nach Norden auf die unzähligen Gipfel, der sich noch viele Kilometer fortsetzende Königs-kordillere, die ihren Namen zu Recht trägt. Nach ausgiebigem Fotografieren und drehen eines kleinen Rundum-Panorama-Videos, haben wir den Gipfel schließlich ganz für uns alleine.
Aber 6:30 Uhr heißt es auch für uns Abschied nehmen von diesem einzigartigen Fleckchen. Das gesamte Ausmaß des Tiefblicks vom Gipfelgrat in die 1000m hohe Westwand erschließt sich erst jetzt im Abstieg bei Tageslicht; also volle Konzentration. Die sich anschließenden flachen Gletscherhängen liegen inzwischen in der prallen Sonne und heizen sich schnell auf. Viertel nach acht bin ich ziemlich geschafft, aber glücklich wieder am Campo Alto. Nach kurzem Verschnaufen vor der Hütte, serviert Simon eine kräftigende Suppe. Während ich drinnen löffle, scheint es Klaus draußen gar nicht gut zu gehen. Die Kombination aus Höhe und Anstrengung führen bei ihm zu Erbrechen.
Bevor wir alles zusammen packen und den restlichen Abstieg antreten, legen wir uns für etwa eine Stunde in die Schlafsäcke und genießen ein Erholungsschläfchen. Danach bin ich ziemlich gut wieder hergestellt, zumindest insofern, dass ich frisch genug bin für die 1:15 Stunden bis zum unteren Refugio. Von dort geht es gegen 11:30 Uhr mit dem Taxi zurück nach La Paz. Ein platter Reifen ist in Formel 1-verdächtiger Geschwindigkeit gewechselt – kommt bei diesen Pisten wohl öfters vor. Bereits halb zwei bin ich wieder im Hostel und nach einer heißen Dusche, was zu Essen und einem schönen Mittagschlaf, schmiede ich bereits neue Pläne für Größeres bzw. Höheres.